unterm strich:
Heute gilt es, eine neue, recht eigene Art von Sturm-und-Drang-Büchern zu entdecken: Es handelt sich um vorwiegend ältere Exemplare, die es stürmt und drängt, den Besitzer zu wechseln oder doch zumindest einen Ausflug in die Öffentlichkeit zu unternehmen. Den Anfang machte ein bislang unbekanntes Manuskript von James Joyce für ein Kapitel seines 1922 erschienenen Romans „Ulysses“. Nach Angaben des Londoner Auktionshauses Sotheby's ersteigerte ein privater Bieter über Telefon die Vorlage für den Eumäus-Text, eines der Schlusskapitel des Romans, für 861.250 Pfund (2,78 Millionen Mark/ 1,42 Millionen Euro). Das 44 Seiten umfassende Manuskript, entstanden in Paris irgendwann zwischen 1916 und 1920, ist mit schwarzer, roter und grauer Tinte geschrieben, was ihm laut Sotheby's einen besonderen Reiz verleiht. Das konnten jedoch nur Bildtelefonmitbieter bestätigen.
Nebenan bei Christie’s wurde ein Stundenbuch des flämischen Buchmalers Simon Bening (1483–1561) für umgerechnet rund 2,6 Millionen Mark versteigert. Das Gebetbuch, 1530 angefertigt, gilt als ein Meisterwerk des Künstlers – Christie's hatte entsprechend mehr als drei Millionen Mark erwartet.
Um sich solch eine Schmach zu ersparen, hat sich das älteste Buch Finnlands gar nicht erst zum Verkauf präsentiert, sondern einfach ganz schlicht im Lübecker Museum Behnhaus ausgestellt. Es handelt sich um das kirchliche Messbuch „Missale Aboense“, das 1488 im Auftrag des Bischofs von Turku in Lübeck gedruckt worden war. Nach der Reformation wurden die liturgischen Bücher häufig zum Einbinden von Akten zerschnitten, sodass nur ganz wenige vollständig erhalten blieben. Akten! Äußerst fieses Schicksal.
Am stärksten ins Licht der Öffentlichkeit stürmt und drängt dieser Tage allerdings die sonst so schüchterne Lyrik: Die Literaturhäuser der Städte Frankfurt am Main, Hamburg, Köln, München, Stuttgart und Berlin haben am Dienstag die Aktion „Poesie in den Städten“ gestartet. Auf rund 2.000 Plakatflächen, Infoscreens und City-Lights an zentralen Plätzen schicken sie Botschaften von Autoren wie Volker Braun, Franzobel, Robert Gernhardt, Dieter M. Gräf, Brigitte Oleschinski, Oskar Pastior, Raoul Schrott, Hans-Ulrich Treichel, Jan Wagner und Wolf Wondratschek in das Großstadtgetümmel. Immer in der Hoffnung, dass die Menschen „eine Minute Innehalten, eine Sekunde Erleuchtung im urbanen Strom des Vergessens“ erfahren, wie Durs Grünbein es formuliert. Und damit gleich eine kleine Kostprobe der poetry in motion gibt.
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