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Nicht Täter, sondern Opfer: Nämlich der falschen Medienberichterstattung, das will der Komponist Karlheinz Stockhausen sein. „Ich bin genauso entsetzt wie alle über die Attentate in Amerika“, schrieb der 73-Jährige in einer der dpa übermittelten persönlichen Erklärung. Stockhausen hatte die Anschläge „als das größte Kunstwerk, das es überhaupt gibt für den ganzen Kosmos“ gesehen.

„Der Journalist in Hamburg hat meine Äußerungen aus dem Zusammenhang gerissen“, meinte Stockhausen. Er habe gesagt, solch eine Terror-Planung „erschiene wie das größte Kunstwerk Luzifers“. Er habe damit selbstverständlich das Zerstörungswerk Luzifers gemeint. Stockhausen war gefragt worden, ob die biblischen Gestalten Erzengel Michael, Eva und Luzifer historische Figuren seien. Er habe geantwortet, „dass sie jetzt existieren, zum Beispiel Luzifer in New York“. Auf Bitten der Kulturbehörde und des Hauptsponsors Zeit-Stiftung sagte die Musikfest GmbH zwei Konzertabende mit Stockhausen ab. Hamburgs Kultursenatorin Christina Weiss bedauerte die Absage am Dienstag, bezeichnete sie jedoch als unvermeidlich.

Der bedeutende Musiker sollte beim Hamburger Musikfest eigene Werke dirigieren, unter anderem „FREITAG“ aus seinem siebenteiligen „LICHT“-Zyklus. In dem 1977 begonnenen Zyklus, einer gigantomanischen Schöpfungsgeschichte, sucht Stockhausen den Kampf zwischen den Elementarmächten Gut und Böse am allegorischen Beispiel von Eva, Luzifer und dem Erzengel Michael darzustellen.

Das Problem liegt eben genau in dieser terriblen Simplifikation „Kampf zwischen Gut und Böse“. Schlechtes Denken muss zu falschen Schlussfolgerungen führen. Der Generalsekretär des deutschen PEN- Zentrums, Johano Strasser, hat einen anderen terriblen Simplifikateur im Visier, den Publizisten Hendryk M. Broder. Ihm warf er vor, die Terroranschläge in den USA für eigene Zwecke zu missbrauchen. Dass Broder sogar „die schreckliche Tragödie vom 11. September zum Anlass nimmt, um seine Privatfehde gegen alle, die er als ,friedensbewegte Linke‘ bezeichnet, fortzuführen“ sei, so Strasser, geschmacklos. Die Solidarität mit den USA liege in Deutschlands ureigenstem Interesse. Nur gemeinsam könne die Gefahr des Terrorismus gebannt werden. Über die Wege und Mittel bestehe jedoch keine Einigkeit. Broder hatte im Spiegel und im Tagesspiegel sowohl einzelnen Intellektuellen und Journalisten Verharmlosung des islamischen Terrorismus vorgeworfen wie den Deutschen überhaupt Feigheit vor dem Feind.

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