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unterm strich

Er hat Ernest Hemingway im groben Seemannspullover fotografiert, er hat Winston Churchill als schmolllippigen Premier dargestellt und Georgia O’Keefe grübelnd auf dem Sofa sitzend gezeigt – über ihr ein Hirschgeweih. Als Porträtfotograf war Yousuf Karsh immer auch Kommentator, seine Aufnahmen von Staatsmännern und Stars des letzten Jahrhunderts sind nicht bloß smiling faces für die Hall of Fame, sondern intime Zustandsbeschreibungen: Bilder, auf denen sich mit jedem Schatten mehr Charakter abzeichnet.

In seiner langen Karriere brachte es der 1908 in der Türkei geborene, armenischstämmige Karsh auf zwölf US-Präsidenten, die von ihm porträtiert wurden. International den Durchbruch schaffte er 1941 mit seinem Schnappschuss Churchills: „Dieses Foto hat die ganze Welt angesprochen“, so Karsh im Interview 1989. „Es fing diese bulldoggenhafte Entschlossenheit des Britischen Empires ein – es wurde nicht gestellt, aber mit großer Bewunderung und Respekt gemacht.“ Nun ist Karsh im Alter von 93 Jahren gestorben.

Immer wieder ein Grund zum Rätseln: der Berliner. Da haben ihm die Bundestagsabgeordneten per Votum erst vor einer Woche ein Stadtschloss für 670 Millionen Euro geschenkt – und er meckert. Über die barocke Fassade, die will er nicht. In Zahlen heißt das: Nur 44 Prozent der Berliner Bevölkerung finden eine Rekonstruktion des historischen Stadtschlosses super, prima und richtig schnafte; der Rest aber hätte laut Forsa-Umfrage viel lieber einen offenen Architektenwettbewerb gehabt, wie die Berliner Zeitung am Samstag berichtete. Im Osten waren sogar 58 Prozent dagegen. Jetzt fragen Sie, lieber Leser und liebe Leserin, sich möglicherweise zu Recht: Was weiß der Berliner denn schon von offenen Architekturwettbewerben, der kann das Wort doch nicht mal korrekt aussprechen – so schlecht, wie er bei der Pisa-Studie in Lesen abgeschitten hat. Aber, sehen Sie, es ist ein Unterschied, ob man etwas leise liest oder laut empfindet. Und darin ist der Berliner Spitze, der regt sich gerne auf, da kennt er nix – vor allem, wenn „die da oben“ etwas mit Schloss oder so beschlossen haben. Da ist er dagegen, Punkt, Schloss, basta. Das macht ihn ziemlich sympathisch … Sympathischer jedenfalls als die Bayern mit ihrer ganzen Schlosserei. Aber da bröckelt’s auch ganz gewaltig an der Fassade, etwa am Forggensee nahe Füssen. Dort steht der Palast für das Musical „Ludwig II“. Laut Süddeutscher Zeitung ist das Unternehmen nun finanziell kurz vor dem Aus: Kredite in Höhe von 21,5 Millionen Euro sollen noch ausstehen, fällige Raten seien im März bereits nur mehr gestundet worden.

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