ulrike winkelmann über Golf : Dieser schleppend-verkniffene Zug
Seit die Glotze 24 Stunden am Tag über den Irakkrieg berichtet, sehen irgendwie alle wie George Bush aus
Es ist ja nicht so, dass wir vom Krieg nicht betroffen wären. Ich z. B. leide unter enormen Wahrnehmungsverschiebungen. Vergangenen Dienstag dachte ich im Hallenbad plötzlich, dass Saddam Hussein aus dem Wasser am Beckenrand auftauchte. Dabei war es bloß meine Schwimmfreundin Margitt mit ihrer Schwimmbrille im Gesicht, deren dicker Rahmen mich an des Diktators ersten Fernsehauftritt nach Kriegsbeginn erinnerte.
Beim anschließenden Pizzaessen wurde ich das Gefühl nicht los, dass der sonst so flinke Redefluss meines Schwimmclubs sich ständig staute. Dann sah ich, wie Ludger bei jedem zweiten Satz die Lippen nach innen klappte und den Unterkiefer vorschob. Er sah ja aus wie George Bush! „Du siehst ja aus wie George Bush!“, rief ich, „und du redest auch viel zu langsam!“
„Und du? Hast du schon die vier waagerechten Falten auf deiner Stirn gesehen? Und wie du die Augenbrauen zusammenziehst und dabei selbstgefällig die Mundwinkel senkst?“, antwortete er, und Margitt starrte mich auch an – mit vier waagerechten Falten auf der Stirn.
Es konnte keinen Zweifel mehr geben: Wir waren unfreiwillige Teilnehmer in einem Bush-Mimikry-Wettbewerb geworden. Nur eine sorgfältige Analyse der Vorgänge würde uns die Kontrolle über unsere Redeweisen wiedergeben. Hatten wir einfach zu viel ferngesehen? Oder handelte es sich um unbewusste Abwehrreaktionen? „Man sollte den emotionalen Stress nicht unterschätzen, der dadurch entsteht, dass zwar hunderte von Journalisten aus dem Irak berichten, aber keine einzige Nachricht bestätigt kriegen“, dozierte Ludger.
„Ist Sprechtempo eigentlich in Zahlen darstellbar?“, fragte Margitt. Genau! Ist zum Beispiel Tommy Franks’ Silbenausstoß pro Minute wirklich noch geringer ist als der von George W. Bush? Nun sind ja beide Texaner, die es nicht zu unterschätzen gelte, wie es heißt. Aber was ist mit Pentagon-Sprecherin Victoria Clark – das ist die mit den sehr bunten Kostümen, die den Generälen neben ihr immer so nett das Wort erteilt?
Gegenwärtig würde sie den Bush-Mimikry-Wettbewerb gewinnen – überzeugender noch als Franks, ach was, als Bush selbst kann sie nach jedem fertigen Satz unter zusammengezogenen Augenbrauen den Mund zu einem schmalen Strich schließen und das Publikum mit einer sekundenlangen Sprechpause terrorisieren.
Ludger behauptete, dass auch die Reporter im Irak schon diesen schleppend-verkniffenen Zug hätten, aber die musste ich verteidigen: „Das kann genausogut mit dem vielen Sand und dem Wind zu tun haben – bestimmt haben viele von ihnen Kontaktlinsen, da sieht man dann so aus, wenn man Staub unter die Linse kriegt.“ Wer nun von den Korrespondenten eine Brille trägt, wollte uns so schnell nicht einfallen. Nach etwas längerem Überlegen hielten wir es allerdings für unwahrscheinlich, dass Kontaktlinsenträger einen einzigen Tag im Irak aushalten würden bei all diesen Wüstenstürmen da. Anders als die Soldaten können sie ja auch nicht immer Skibrillen tragen.
„Die wirklich wichtigen Aspekte der Berichterstattung fallen sowieso mal wieder unter den Tisch“, sagte Margitt auf einmal trotzig und entspannte auf ein freundliches Augenzwinkern unsererseits hin ihre Stirnmuskeln wieder. „Zum Beispiel fällt auf, dass der Verbraucherschutz immer noch eklatant unterbelichtet ist.“ Auch da musste ich widersprechen. Vorgestern erst fragte zum Beispiel die Bild naheliegenderweise: „Wie weit ist mein Strand vom Krieg entfernt?“ und maß etwa sichere 4.384 Kilometer zwischen Bagdad und den Seychellen. Das tröstet doch.
„Aber was ist mit der Gefahr von Hautunreinheiten durch nach Deutschland ziehenden Pulverdampf?“, fragte Margitt, „was mit der drohenden Geschmacksverwirrung junger Menschen, die jetzt unter Umständen alle so breite Hemdkragen haben wollen wie Tommy Franks?“ Ihre letzten Sätze klangen schon wieder richtig flüssig. Vielleicht war es doch eine Täuschung gewesen und keiner von uns hatte überhaupt je wie Bush geredet. Nun, man sollte wachsam sein. Der Krieg hat uns in seinen Krallen.
Vielleicht aber auch nicht. Wie weit ist eigentlich die rot-grüne Bundesregierung bei der Demontage des Wohlfahrtsstaats schon fortgeschritten?
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