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ulrike winkelmann über GolfPreis-Leistungs-Verhältnis

Von der Unvereinbarkeit von Leben und Beruf: Was verbotenes Fast Food mit schlechtem Gewissen zu tun hat

Was für ein schöner dreißigster Geburtstag! Etwas „Leckeres zu essen“ war angekündigt, und groß war das Helau und Juchhee, als Geburtstagskind und Gastgeberin P. dann am Herd enthüllte, was sie vorhatte: Wir würden Hamburgerbratlinge braten und auf weiße Labberbrötchen legen, mit Schmelzkäsescheiben aus der Folie obendrauf! Super. „Das durften wir früher nie!“, riefen wir alle durcheinander. Glücklich kippten wir noch Röstzwiebeln (Fabrikware!) und zwei verschiedene Sorten Ketchup (Zuckerzeug!) drüber.

Es stellte sich heraus, dass, über zehn Jahre nachdem wir unsere Elternhäuser verlassen haben, erziehungsbedingte Merkwürdigkeiten in Lifestyle und Weltsicht nicht zu leugnen sind. Die Liebe zum amerikanischen Essen ist nur ein Teil des Marschgepäcks, das unsere Mütter uns mit auf den Weg gegeben haben. Ich berichtete davon, dass ich immer noch unter dem Zwang stehe, regelmäßig frische Champignons zu kaufen. Und jedes Mal freue ich mich, weil ich sie so billig finde – auch wenn ich sowieso nicht zum Kochen komme und die Dinger dann beim Schimmeln begucken kann. Und das nur, weil meine Mutter behauptete, frische Champignons würfen für einen Fünfpersonenhaushalt plus Kleinvieh zu wenig Füllmasse, also objektiven Gemüsenutzen ab. Das Wort „Preis-Leistungs-Verhältnis“ fiel immer in diesem Zusammenhang.

Es dauerte nicht lange, und wir waren bei anderen Verzichtsfragen angelangt. „Hattet ihr auch kein Spielzeug?“, fragte M. aufgeregt. Sie erzählte, dass ihre Eltern in dem Glauben, damit den Scharfsinn ihrer Tochter zu fördern, ihr statt Puppen eine durchlöcherte, mit Wasser gefüllte Spülmittelflasche gaben, so dass M. beobachten konnte, wie das Wasser erst mit Druck und dann nur noch in müdem Bogen herausspritzte. Und statt einer Rassel gab’s ein Marmeladenglas mit Linsen drin ins Händchen. „Ha“, rief P., „mit Essen spielt man nicht!“ Zufrieden zermanschte sie den Krümelbrei, zu dem sich der Hamburger in ihren Fingern verwandelt hatte, mit der Remouladensoße auf ihrem Teller zu einer kleinen Gebirgslandschaft, auf die sie dann weitere Röstzwiebeln hageln ließ.

In solchen Momenten der Entspannung erlebt man sie selten. Eigentlich erzählt sie ständig, dass sie dringend schon an diesem oder jenem Text sitzen müsste für diesen oder jenen Zweck. Dann fällt einem auf, dass alle möglichen Leute diesen Satz auch laufend sagen, nur mit anderem Adressaten oder Medium. Eigentlich müssen wir nämlich alle immerzu arbeiten, haben die Seminararbeit, die Bewerbung, das Flugblatt, die Rezension noch nicht geschrieben und sind deshalb kreuzunglücklich. Während wir uns nachschenken.

Das hat dann nur im Einzelfall mit Geldverdienen zu tun. Preis-Leistungs-Verhältnis heißt bei unsereinem nicht, dass wir einen angemessenen Stundenlohn bekommen, sondern dass wir einen unangemessenen Preis für unsere Leistungsfähigkeit bezahlen: Nervengeld. Es ist alles so anstrengend. Arbeiten ist anstrengend, aber nicht arbeiten ist auch anstrengend, weil man ja eigentlich arbeiten müsste.

„In Wirklichkeit hören wir doch nur ab und zu mit Arbeiten auf, weil wir beim Arbeiten gelesen haben, dass wir zur Spaßgeneration gehören“, unterbrach P. meine Ausführungen zum Thema „Unvereinbarkeit von Leben und Beruf“. Da sie nun heute erst 30 geworden war, wiesen wir Älteren sie zartfühlend nicht darauf hin, dass man die Mütze mit der Aufschrift „Nur Fun im Kopf“ rechtzeitig an den Nachwuchs abzugeben hat. Bevor sie zur Narrenkappe wird.

Wenn man sie denn je zu Recht getragen hat. Eine von Trierer Soziologen erarbeitete Studie namens „Gerechtigkeit als innerdeutsches Problem“ brachte mich neulich schwer ins Grübeln. Die Forscher hatten ein Instrument zur Messung der Arbeitswut vorgestellt: die Protestantische-Ethik-Skala (PES). Sie behaupteten, Männer hätten höhere PES-Werte als Frauen, was ich rundweg bestreite. Mädchen waren schon immer die größeren Streberinnen. Keine Frau kann vorm Fernseher in eine solche Trance verfallen wie ein Mann. Und wenn, wie unsere Forscher schreiben, die PES mit dem Gerechte-Welt-Glauben positiv korreliert, dann gibt’s überhaupt keinen Zweifel, dass Frauen hier die Nase vorn haben. Kamen wir doch auf P.s Geburtstag zu der gemeinsamen Überzeugung, dass wir dafür, dass wir dauernd wegen all der ungeschriebenen Texte ein schlechtes Gewissen haben, wenn schon nicht auf Erden, so doch im Himmel belohnt werden. „Hört das Gefühl eigentlich auch wieder auf?“, fragte M. irgendwann. Ich weiß es nicht. Über die PES-Werte unterschiedlicher Altersgruppen verraten die Trierer Soziologen nichts.

Aber vielleicht hört es ja auf, wenn ich gelernt habe, den Laden ohne Champignons zu verlassen. Aber dann gibt’s ja auch keine Hamburger mehr auf Geburtstagspartys. Und das wäre schade.

Fragen zu Golf?kolumne@taz.de

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