trinkgelder von FANNY MÜLLER :
Als ich während meines Studiums nebenbei als Stewardess auf dem TEE fuhr – das war der Vorläufer des ICE, aber insgesamt vornehmer, denn damals flogen nur die Superreichen zu ihren Terminen, während heute die Flugzeuge voll sind mit Vertretern und ihren Laptops –, als ich also auf dem TEE arbeitete, begab sich einmal Folgendes:
Ich fuhr zum ersten Mal nach Paris und musste die Bar machen, die neben dem Restaurant lag und immer eine Extrabedienung hatte. In Düsseldorf stiegen die Mitglieder des Stadtrats zu. Was die in Paris wollten, wusste ich nicht. Aber bestimmt nichts Gutes. Sie krakeelten herum und gaben an wie zehn nackte Stadträte, bis ich nicht mehr zuhörte.
Es wurde jede Menge Bier getrunken und zu jedem Bier ein Jägermeister. Kurz bevor sie das Portemonnaie zückten, nahm mich einer der Jungs beiseite: „Die Kollegen sind nicht besonders … ähem … spendabel. Schreiben Sie doch einfach etwas mehr auf.“ Das tat ich, und siehe da – bei einer Rechnung von über 200 Mark wurde mir großzügig ein Trinkgeld von 60 Pfennig überreicht. („Stimmt so!“)
Milli, die meine „Chefin“ war, sagte mir, dass solche Leute immer „nass“ sind, das heißt, kein Trinkgeld geben. Milli war übrigens ein Original. Sie sprach fließend Französisch, konnte aber keine Zeile zu Papier bringen, denn sie hatte es nur im Bett und nur durchs Zuhören gelernt. So musste ich in meinen freien Minuten ihre Liebesbriefe schreiben, was mir wenig Mühe machte. Sie hatte immer junge, gut aussehende Liebhaber, die sie nur durch flotte Autos und andere Geschenke an ihrer Seite hielt. Deshalb schmuggelte sie auch für ihren Bruder, der ein Restaurant in Hamburg besaß, Champagner, Austern und andere Delikatessen, die wir in den Papierkörben versteckten, bis die Zöllner durch waren. Das mit den Austern ging natürlich nur im Winter.
Im Sommer machte Milli auf Zimmermädchen in angesagten Schweizer Kurorten wie Davos (da wo’s schneit) oder auch in Kitzbühel, wo solche Leute wie Niarchos zwei Etagen mieteten, um auf der einen Frau und Kinder und auf der anderen ihre Mätressen unterzubringen, die mit einer „carte blanche“ die Boutiquen heimsuchten. Da ging es immer hoch her, und anschließend musste das Hotel beide Etagen komplett renovieren. Mit den Trinkgeldern sah es da schon besser aus, vor allem, da sie in Schweizer Franken waren. Auf der Rückfahrt war der Zug schlecht besetzt. Zu mir in die Bar kamen nur zwei Damen. Sie waren gut, aber sehr dezent gekleidet, setzten sich an verschiedene Tische und bestellten eine Kleinigkeit zu essen und einen Wein. Bevor die erste wieder in ihr Abteil ging, bezahlte sie und drückte mir einen Zehnmarkschein extra in die Hand. Ich war fassungslos, denn für zehn Mark konnte man damals noch zwei Hauptgerichte beim Chinesen bekommen. Die zweite Dame winkte mich an ihren Tisch: „Wissen Sie, wen Sie da gerade bedient haben? – Ich bin auch aus Flensburg. Das war Beate Uhse.“
Seitdem sah ich mir das Geschäftsgebaren dieser Dame doch mit einiger Sympathie an. Wer solche Trinkgelder gibt, kann nicht ganz schlecht sein. Allerdings bin ich doch nicht so weit gegangen, mir ein diskret verpacktes Paket zu bestellen.