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Archiv-Artikel

träumen waagen von elektrischem gemüse? von JENNI ZYLKA

Mit einem Eimer Wasser / putzt sie das ganze Haus / und was davon noch übrig bleibt / da kocht sie Kaffee draus. Und darum gibt es bei mir auch keine Spur von Finanzkrise, nur so nebenbei. Aber apropos: Muckefuck hießen wir früher den lehmfarbenen Ersatzkaffee, der bei Schullandheimaufenthalten und Kirchenfreizeiten aus großen blechernen Kommisskannen schwappte. Und dass Zichorie, ein Gemüse, das mir bislang einzig als Muckefucklieferant bekannt war, fast das Gleiche ist wie Chicorée, das war neulich ein ähnlicher Aha-Effekt wie damals, als jemand mir erklärte, dass Hanuta HaselNussTafel und Haribo Hans Riegel, Bonn bedeutet.

Doch das Nichterkennen- und -benennenkönnen von Gemüse erreicht neuerdings einen weitaus größeren Frustrationsgrad, seit nämlich eine elektronische Waage in dem Supermarkt, in dem ich am vergangenen Samstag einkaufte, mehr weiß als ich. Ich brachte nacheinander und mit wachsender Verwunderung eine Knolle Knoblauch, eine dunkelviolett glänzende Aubergine, drei Äpfel und ein paar Weintrauben zum Wiegen, und die Scheißwaage erkannte jedes Mal sofort, was ihr hingelegt wurde, und spuckte die richtigen Klebepreisschildchen aus.

Um sie zu prüfen, legte ich noch eine Sternfrucht, eine rote Kartoffel dieser neuen Sorte, die jetzt Linda verdrängen soll, und etwas Erdfarbenes, Pickeliges auf, von dem ich nicht wusste, was es ist, ich glaube, die Bayern essen es zum Bier, oder man kann daraus Aufläufe für Babys machen. Die Waage überlegte nicht den Bruchteil einer Sekunde und ließ piepend und brummend ein Schildchen mit „Pastinake 0,93 €“ rüberwachsen, das ich wütend zusammenknüllte und in den Mülleimer schmiss.

Weil niemand zu gucken schien – alle waren mit den samstäglichen Probiertellerchen und -sektchen beschäftigt –, ließ ich schnell eine kleine Packung Zahnstocher vom nebenstehenden Haushaltswarenregal auf die Waagschale plumpsen und wartete lauernd neben dem Ausgabeschlitz. Aber die Waage ließ sich nicht beirren, piepte nur verächtlich und blieb ruhig.

Später am Abend hielt in der lauten Kneipe jemand sein Handy in Richtung Boxen, um zehn Sekunden später eine Informations-SMS mit Titel, Interpret und Platte der laufenden Hintergrundmusik zu empfangen: Das Handy hatte durch den verqualmten Kneipenkrach hindurch eigenhändig Nachforschungen in seinem virtuellen Paralleluniversum angestellt, und ich oberschlaue Besserwisserin, die betrunken nie auf irgendwelche Namen kommt, hatte das Nachsehen.

Und wenn jetzt noch jemand sagt, dass das, was der sympathische B-Movie-Darsteller Michael Biehn im ersten „Terminator“-Film Linda Hamilton alias Sarah Connor erzählt, nämlich dass die Maschinen die Macht übernommen hätten und seitdem wie tödliche Greifvögel über der Stadt ihre Kreise ziehen und jeden Nichtcyborg erschießen, der sein lebendiges Menschennäschen herausstreckt, das sei dummer Achtzigerjahre-Humbug, dem kann ich nur entgegenschreien: Wir sind längst angekommen! In der Zukunft! Das Schlimmste aber ist, und das fällt mir immer auf, wenn ich junge Leute in ihren Leggins beobachte: Sie sieht aus wie die Achtziger.