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Archiv-Artikel

tour de france Tortur der Indizien

Die Frankreich-Rundfahrt war wieder einmal von einem Dopingskandal überschattet. War sie deswegen automatisch sauberer?

Die Tour ist zu Ende. 3.657,1 Kilometer haben die Radprofis zurückgelegt. Sie waren wieder sehr schnell unterwegs. Von einem Leistungsknick war nichts zu sehen, wie ehedem preschten die Pedaleure die Berge hinauf und die heißen Landstraßen entlang. Ein Amerikaner hat die Hetzjagd durch Frankreich gewonnen. Floyd Landis hat Geschichte geschrieben mit seiner spektakulären Flucht in den Alpen. Die Rundfahrt war turbulenter und abwechslungsreicher als in den Jahren zuvor, da Lance Armstrong für bleierne Eintönigkeit sorgte. Aber war die Tour diesmal auch sauberer? Wurde weniger gedopt? Gab es weniger Leistungen aus der Retorte?

Nicht wenige haben in den vergangenen Tagen ein absurdes Spiel getrieben und allerlei vage Indizien herangezogen, um eine Vermenschlichung der Rundfahrt zu propagieren. Die bösen Doper seien nicht mehr dabei, von Ivan Basso bis Jan Ullrich, auch die verruchten Dopingteams habe die Tourleitung ja ausgeladen, hieß es. Es habe auch keinen radelnden Hegemon mehr gegeben, da selbst Landis einmal eingebrochen sei. Und weiter: Den Profis seien die Leiden diesmal deutlicher anzumerken gewesen. Die Gesundbeter haben versucht, sich die Tour schönzureden – bevor sie sich wie gehabt an den Torturen ergötzten. Die Show musste weitergehen, wenngleich die Fraktion der Skeptiker, auch in der Öffentlichkeit, ja sogar bei den Öffentlich-Rechtlichen, größer geworden ist. Jetzt durfte sogar der Dopingaufklärer Werner Franke im ZDF-Morgenmagazin auftreten und dem Moderator Thomas Skulski die Schweißperlen auf die Stirn treiben – vor einem Jahr war das noch undenkbar.

Frankes Botschaft ist so schlicht wie evident: Die Tour ist nicht sauber, der Radsport ist nachgerade verseucht. Das wissen die Beteiligten am besten, zum Beispiel David Millar (Saunier Duval), der nach einer zweijährigen Dopingsperre wegen Epo-Missbrauchs wieder durch Frankreich kurbelte. In einem Interview hat er auf die Frage, ob der Radsport kurierbar sei von der leidigen Sucht des Betrugs, geantwortet: „Never, never, never wird das gelingen“, sagte er im Radsport-Magazin Tour. „Im Leben der Menschen hat man es mit Gier, mit falsch verstandenem Ehrgeiz zu tun, da lässt sich das nicht verhindern. Sobald Geld ins Spiel kommt, ist der Betrug nicht weit.“ Millar muss es wissen, zumal im Radsport ja auch ein bisschen Geld im Spiel ist, auch Geld von Fernsehanstalten, die keineswegs abgerückt sind vom Radsport. Die Quoten waren zwar schlechter als in den vergangenen Jahren, aber so schnell lassen sich die Zuschauer nicht von ein paar Dopingmeldungen verschrecken. Die Tour de Tortour sowie blühende Spekulation über die Lauterkeit der Protagonisten beflügeln Neugier und Fantasie der Zuschauer. Die Rundfahrt war schon immer ein schauriges Spektakel, mit toten Rennfahren, blutenden Ellbogen und sinistren Machenschaften, ein echter Krimi eben.

Die Vorbestraften, Mitwisser und Vertuscher sind überall im Tross vertreten. Nicht nur Millar hat einen Eintrag in der Personalakte, auch der zweimalige Etappensieger dieser Tour, Sergej Gontschar. 1999 wurde der Ukrainer mit erhöhtem Hämatokritwert, ein Hinweis auf Blutdoping, von der Tour de Suisse ausgeschlossen. Das Team Liquigas suspendierte ihn nach einer Razzia beim Giro d’Italia. T-Mobile setzte dennoch auf seine Dienste. Paradox? Ach was, normales Gebaren in der Szene.

Der Radsport ist unfähig, die Kräfte aufzubringen, um sich selbst zu reinigen. Wie sonst ist es zu erklären, dass der Teamleiter von Discovery Channel, Johan Bruyneel, Lance Armstrong nach Frankreich einlädt und im Mannschaftswagen mitfahren lässt, als wäre nichts geschehen, dabei ist dem siebenmaligen Gewinner der Tour Epo-Doping nachgewiesen worden – nur leider nicht im formaljuristisch-korrekten Sinne. Die Tourleitung hat Armstrong zwar zur Persona non grata erklärt, dennoch durfte sich der dreiste Ex-Pedaleur als Primus inter pares in die Karawane seiner Kollegen einreihen.

Der Schweizer Ex-Profi Rolf Järmann hat einmal gesagt, seine Kollegen fänden Doping so moralisch verwerflich wie eine Pkw-Fahrt mit Tempo 130 auf der Autobahn. An dieser Einstellung hat sich grundsätzlich nichts geändert. Nur dass die Asphalthelden etwas vorsichtiger geworden und nun mit Tempo 129 unterwegs sind. MARKUS VÖLKER