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Archiv-Artikel

tonspur Rituale und Weltrekorde

Nicht, dass hier ein falscher Eindruck entsteht. Und Sie denken: „Kein Wunder, dass ein altes Rundfunkgerät nur olle Kamellen aus dem Programm rauspökelt.“ Da mag auf den ersten Blick was dran sein. Aber wirklich nur auf den ersten, sehr flüchtigen. Sie müssen schon bis zum Ende lesen.

Tatsächlich führt uns der jetzt folgende Hinweis zurück ins Jahr 1931. Damals entstand nämlich der Film „M – eine Stadt sucht einen Mörder“, der nun von der Hörspielredaktion des Bayerischen Rundfunks fürs Radio umgesetzt wurde. Und was ein bisschen anmaßend klingen mag, ist doch ein gelungener Hüpfer von einem Medium ins andere: Der Klassiker ist in der Lautsprecherversion genauso spannend und bedrückend wie auf der Leinwand. Dafür sorgen unter anderem die Originalstimmen von Peter Lorre und Gustaf Gründgens sowie die Zitate aus authentischen Polizeiakten, die eine Serie von Kindesmorden dokumentieren. Die Handlung des Films – in dem die Gangster der Stadt den psychopathischen Mörder schnappen und lynchjustizen – lässt Hörspielautor Michael Farin schlicht nacherzählen. So entsteht ein Spannungsfeld zwischen schnatternder Aufgeregtheit und ruhigem Erzählton, das ebenso viel Herzklopfen provoziert wie das filmische Erlebnis. Und wenn mal wieder die Melodie aus Griegs Peer Gynt aus dem Radio pfeift – immer dann, wenn der Mörder sein nächstes Opfer trifft – ist das eigentlich noch unheimlicher als im Film. („M – eine Stadt sucht einen Mörder“, Samstag, 20.05 Uhr, Deutschlandfunk)

Ein Collage der ganz anderen Art, eher kurios und historisch wertvoll, sind die „Fundsachen“. Im Zuge seiner „radioarchäologischer Schatzsuche“ präsentiert Michael Augustin regelmäßig Ausgrabungen aus den Schallarchiven. Dieses Mal hat er in den 50er-Jahren gebuddelt und wunderliche Entdeckungen gemacht: Über das „Wirtschaftswunder“ singt der Kabarettist Wolfgang Neuss, „Wir Wunderkinder“ von Kurt Hoffmann kam ins Kino und vom „Wunderland“ schwärmten Hanns Eisler und Johannes R. Becher– und meinten die DDR. Ähnlich drollig ist eine Reportage aus dem Jahr 1953 über einen Versuch, den Weltrekord im Dauerklavierspielen zu holen sowie die doch recht steifen Radioansprachen von Ludwig Erhard und Konrad Adenauer. Unübertroffen an Komik ist allerdings die Rede des Notenpräsidenten der damaligen DDR zum Weltspartag 1953, der ein „zukunfts- und konsumfreudiges Volk“ zur „Spartätigkeit“ auffordert. („Fundsachen“, Nordwest Radio von RB und NDR, Samstag, 19.05 Uhr)

„Spartätigkeit“ scheint zumindest für die koreanische Performancekünstlerin Grace Yoon ein Fremdwort zu sein. Jedenfalls was ihr Hörspiel „Ödipus Fantasie“ aus dem Jahr 1998 betrifft. Sophokles, Ingeborg Bachmann, das Tibetanische Totenbuch, Blixa Bargeld, Buddhas, Erinnyen, Wasser, Erde, Feuer, Luft und das Internet – so die verschwenderische Besetzung ihrer Bearbeitung des antiken Dramas. Wahrscheinlich gehört „Ödipus Fantasie“ zu den Werken, die man mehrmals hören muss, um sie zu verstehen. Oder um sie zu mögen, was ja auch auf die besten Platten zutrifft. Doch auf Anhieb möchte man dem Hörspiel spirituelle Willkür unterstellen – zu beliebig klingt die Aneinanderreihung von Textfetzen, Gebrumme und Geklopfe sowie dem regelmäßig eingehauchten Ha-te-te-pe-we-we-we-ödipus-de-e. Nach eigener Aussage schildert das Stück das Schicksal des Ödipus, der seinen Vater umhaut und seine Mutter ehelicht, aus östlicher Perspektive und soll Ödipussens Vollzug des buddhistischen Totenrituals Bardo darstellen. Dann darf er endlich ins Paradies. So einfach ist es also. Geht doch. Muss man dafür ein so kompliziertes und delphisch orakelndes Akustikopus zurecht bimsen? Na ja: Ich bin halt so ein altes Ding und kann mit diesem neumodischem Kram noch nicht allzu viel anfangen. („Ödipus Fantasie“, HR 2, 22. 1., 20.30 Uhr)

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