tonspur : Sophisticated
Das Schöne am Radiohören ist die Einsamkeit. Niemand redet dummes Zeug, niemand plappert, plauscht, lästert, hört nicht zu. Beziehungsweise wenn doch jemand plappert, schaltet man ab.
Mich natürlich nicht. Ich produziere ausschließlich Hörenswertes. Fangen wir mit einem guten, altmodischen Krimi an, zur guten, altmodischen Samstagabend-Krimizeit, Crimetime nennen das die Konkurrenten aus der Flimmerkiste neuerdings neudeutsch, haha, dass ich nicht lache.
Zu lachen gibt es in anständigen Krimis natürlich nichts, vor allem nicht für Herbert Schneider, Chef der Firma „Luft und Wasser“, der nicht nur von einem verkommenen Subjekt entführt wird, sondern dabei auch noch gesteckt bekommt, dass seine Göttergattin sich erstens keinen Deut darum schert und zweitens längst mit seinem Kollegen Kaltwasser durch die Ehebetten turnt. Tjaha, dumm gelaufen für Schneider.
Noch dümmer läuft es allerdings, als sich das Vierergespann Schneider/Entführer/Ehefrau/Liebhaber durch merkwürdige Sippenbildungen unversehens in ganz neuen Konstellationen wiederfindet. Wer zum Schluss stirbt, wird nicht verraten. Nur, wann: so gegen 1 Uhr Samstagnacht, das Hörspiel „Mann außer Haus“ von Werner Buhss beginnt nämlich um 0.05 Uhr (Deutschlandfunk).
Machen wir am besten gleich blutig weiter, bin gerade so in Fahrt: Am Ende von Edward Albees Klassiker „Die Zoogeschichte“ von 1958 passiert ja bekanntlich auch etwas Grausliges. Wer das eindringliche und altmodische (das schließt sich nicht aus!) Zwei-Mann-Stück über Nähe und Ferne und Verwahrlosung und Psyche mal wieder ins Ohr bekommen möchte, kann am Mittwoch um 22.00 Uhr WDR 3 zuhören.
Man möge mir nun nicht unterstellen, ich versuchte mit diesen Gräueltaten zu beweisen, dass Männer immer nur kaputt- und dreckig, Frauen immer nur heil und sauber machen. Aber: „Putze Polina“, eine Burleske über die russische Reinemackerfrau, die über 60 Jahre lang den Kreml gewischt hat, zeigt doch, wie’s ist: „Wir sind die Kremlputzen, wir sind von großem Nutzen, wir putzen im Akkord, putzen ist unser Sport“, summt der Putzfrauenchor darin unverzagt. Polina, auch Poli genannt, lässt derweil die Kremlherrscher der Jahrzehnte Revue passieren, unterstützt und unterbrochen von schlauen Kindern, die schlaue Dinge wie „Was lebt länger, Revolution oder Krieg?“ fragen. Und sinniert in einem fort Putzfrauenweisheiten wie „Mich stützt als drittes Bein der Schrubber“. Schön gesagt, Poli, und schön blank gebohnert. Noch eine patent-politische Putzfrauenphrase: „Was bleibt, sind die Paläste.“ In den Mund gelegt hat den Sauberfrauen das Ganze übrigens der polnische Autor und Musikwissenschaftler Stefan Amzoll (Sonntag, 18.30 Uhr, DLR Berlin).
Bei so viel Dreck wäre es vielleicht ganz praktisch, wenn der einfach unsichtbar werden könnte. Ziemlich unpraktisch dagegen ist es, wenn man als Mensch (oder Radio) plötzlich nicht mehr wahrgenommen wird. Darum geht es nämlich in „Der Unsichtbare“, einem Hörspiel nach dem gleichnamigen Roman des schwedischen Autors Mats Wahl: An einem Tag im Mai spürt Hilmar Eriksson, dass er unsichtbar ist. Als man ihn zum letzten Mal sehen konnte, wollte er nur sein vergessenes Handtuch aus der Schule holen … (Mo., 19.05 Uhr, DLR Berlin).
Und noch ein Hörspiel möchte ich den geneigten Ohren ans Herz legen (haben Ohren Herzen?). Es ist von Ulrike Haage, dem Ex-Rainbird. Diese Dame spielt nicht nur wunderbar Klavier, sondern hat sich auch noch zusammen mit Krimiautorin und Theaterfan Thea Dorn das bombastische Stück „Bombsong durchgestrichen Untitled“ ausgedacht (NDR info, Sonntag, 21.05 Uhr), wobei man sich das so vorstellen muss, als sei „Bombsong“ wirklich durchgestrichen. In jenem Stück wird gesungen, gedacht, gesprochen, und weil ich ein Radio von Welt bin, weiß ich, wie man eine solch stimmungsvolle Produktion nennt: sophisticated. Oops, jetzt hab ich doch etwas Neudeutsches gesagt. VERONA VON BLAUPUNKT