things behind the golf: wie nick drake in ein vw cabrio geriet von WIGLAF DROSTE:
Ein Cabrio gleitet durch den späten Abend. Es hat vier junge Menschen geladen, zwei Mädchen und zwei Buben der gehobenen Mittelklasse. Mond und Sterne schimmern, die jungen Menschen kucken. Aus dem Off singt eine zarte, verhaltene Jungmännerstimme: „I saw it written and I saw it say / Pink moon is on its way / And none of you stand so tall / Pink moon gonna get you all.“
Das Cabrio mit den jungen Menschen erreicht einen bollohaft trüben Ort, einen Laden, in dem die Big-Brother-Sorte Mensch verkehrt: Grobschlächtige Spaßgesellschaftler eiern herum, Fit-for-Fun-Trottel, die aussehen, als würden sie sich über verbissene Witzversuche von Ingo Appelt vor Lachen ausschütten. Die vier im Cabrio schauen skeptisch, sehr, sehr skeptisch auf das Treiben, und dann wollen sie gar nicht hinein in das laute, grobianische Lokal, sondern unter den Sternen und unter dem Mond einhergleiten im Cabrio, und so wenden sie das schnittige Automobil und gleiten einher unter dem Mond und unter den Sternen, denn sie sind tiefer gelegt nicht am Wagen, sondern an der Seele, und zum Beweise dessen kommt aus dem Off wieder die zart besaitete Musik: „Pink Moon“ von Nick Drake. Dann ist der Film aus, und man liest „Generation Golf“ und „VW“. Ach so.
Dass im Werbespot die Mischung aus dumm & dreist genuin zu sich selbst findet, ist nicht neu. Ob aber die Creativ-mit-C-Creativen, die diesen „Generation Golf“-Film ersannen, eine Ahnung davon haben, was sie da zusammenrührten? „Pink Moon“ ist das Titelstück der dritten und letzten LP des Sängers und Songschreibers Nick Drake. Als die Platte 1972 erschien, war Nick Drake noch keine 24 und schon so gut wie tot. Der junge britische Sänger war schwer depressiv; 1974, mit 26, nahm er sich das Leben. Und taucht 26 Jahre später wieder auf, als PR-Stimme für VW-Golf-Cabrios. Ist es Infamie – oder doch eher ein höherer Wink mit dem Alleebaum: Hey, Knusperköpfe, macht’s wie Nick Drake, und vor allem: macht’s gut? Darf man das so verstehen?
Zwar sind Nick Drakes Lieder keine Aufforderungen zum Freitod, aber wenn man diese schwermütigen, poetischen Abweichungen von der Norm einmal gehört hat, ist die Welt für immer eine andere: brüchig. Da ist kein Netz und kein Fänger, der fängt. Weiter als Nick Drake kann man sich von Lebenstüchtigkeit nicht entfernen; seine Lieder und sein Leben stehen gegen das fettige Gesetz des survival of the fittest, und sie stehen da sehr einsam, sehr würdig und sehr ragend.
Zum Soundtrack für Cabrio fahrende Flitzpiepen, für C & A & H & M-Kleiderständer taugen Nick Drakes Lieder gar nicht. Oder sollte die durch Beschwörung ihrer selbst so lästige „Generation Golf“ in Wahrheit ein Selbstmörderclub sein? Wollen die jungen Menschen und ihre Werbespotler wirklich Anlass geben zu solch schönen Hoffnungen? Nick Drake sah es so: „Say what you’ll say / About the farmers and the fun / And the things behind the sun / And the people round your head / Who say everything’s been said / And the movement in your brain / Sends you out into the rain.“
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