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Archiv-Artikel

theorie und technik Experten auf dem Schwarzmarkt

Erst die Entflechtung von Recht, Wissen und Macht setzt die Möglichkeit eines gesellschaftlich relevanten Wissens frei

Jüngst gab es einen „Schwarzmarkt des Wissens“ in Wien. Das ist zwar ein Import aus Berlin, aber falls Sie ihn trotzdem nicht kennen sollten, hier eine kurze Beschreibung: Zu einem ortsgebundenen Thema sprechen hundert ausgesuchte Experten, die man alle gleichzeitig für ein halbstündiges Tête-à-Tête mieten kann – eine „kollektiv gewisperte Wissenserzählung“, wie die Berliner Künstlerin Hannah Hurtzig ihre Schwarzmärkte nennt. Das ist Markt, Event und Kunstinstallation in einem. Und ich durfte mitmachen. Als Expertin! Dieser Distinktionsgewinn wird aber durch die Tatsache, eine von hundert zu sein, sofort wieder kassiert. Man geht in der Masse der Experten unter. Was aber macht einen zum Experten?

Dieser ist nur in einer ausdifferenzierten Gesellschaft möglich. Erst die Entflechtung von Recht, Wissen und Macht setzt die Möglichkeit eines gesellschaftlich relevanten und doch beschränkten Wissens frei. Es braucht dazu also eine Gesellschaft, in der „die Macht das Prinzip des Gesetzes und das Prinzip des Wissens nicht mehr in sich verdichten kann“, wie Claude Lefort schrieb. Eine Gesellschaft ohne Zentrum also. Wenn das Wissen nicht mehr durch die Macht garantiert wird, tritt der Experte auf. Er ist weder Mächtiger, noch Weiser. Er ist vielmehr das Produkt der „Entzauberung der Welt“ (Max Weber): Hüter eines rationalisierten, objektiven Wissens. Er nimmt damit scheinbar auch einen objektiven gesellschaftlichen Platz ein.

Hannah Hurtzigs „Schwarzmarkt“ fragt nun, was ein Experte ist – nur um gleichzeitig unser Bild von dieser Figur zurechtzurücken. Dessen Objektivität erweist sich dabei als Fiktion. Hier zeigt er sich in seiner ganzen Subjektivität.

Dies war bekanntlich schon mal Programm, als die marxistische Theorie die Vorstellung einer Objektivität der Wissenschaft als bürgerliche Ideologie denunziert hat. Die wahre, die „materialistische Wissenschaft“ (Louis Althusser) hingegen war radikal subjektiv – in dem Sinne, dass sie explizit einen Klassenstandpunkt einnimmt und sich auf die Seite des Proletariats stellt.

Hurtzigs Experte ist auf ganz andere Weise subjektiv. Seine Subjektivität ist keine klassenmäßige. Sie ist vielmehr eine, die der gegenwärtigen gesellschaftlichen Verfasstheit entspricht. Die Kunstinstallation ist ein Markt. Hier geht es um die Distribution von Wissen. Denn Wissen muss nicht nur produziert werden, es muss auch zirkulieren. Es muss weitergegeben werden. Das heißt heute: Es wird verkauft. Es handelt sich jedoch um einen sehr besonderen Markt, ist doch der Wissensproduzent Teil seiner Ware: Er ist Teil des Wissens. Beim „Schwarzmarkt“ verdichtet sich dies zu der Aufgabe, einen komplexen Gedanken in dreißig Minuten erzählen zu können. Erzählen aber heißt hier: überzeugen. Denn der Experte ist nicht nur der Verwalter eines objektiven Wissens. Er muss diese Funktion auch glaubhaft darstellen können.

Diese Formulierung ist irreführend. Sie klingt, als ob es hier um positive Eigenschaften ginge, die am Experten festzumachen wären. Tatsächlich ist es damit nicht getan. Denn, um Experte zu werden, muss man zum Lacan’schen „sujet supposé savoir“, zum „Subjekt, dem Wissen unterstellt wird“ werden. Man muss vom anderen dazu gemacht werden. Es bedarf einer Übertragung.

Der Experte ist die Festschreibung eines wechselseitigen Verhältnisses, in dem der eine die Position des Nichtwissens und der andere die Position des Wissens einnimmt. Damit Übertragung stattfinden kann, reicht es jedoch nicht, den Platz des Experten einzunehmen – bei Hurtzig auf einer Seite des Tisches. Es braucht mehr, denn der Markt des Wissens ist ein besonderer. Der Tausch, der hier stattfindet, ist ein Tausch eigener Art: Er ist eine Bedürfnisstruktur. Das Überzeugen ist kein rein inhaltliches, es muss auch auf affektiver Ebene greifen.

Seitens des „Experten“, desjenigen, der Wissen vermitteln will, braucht es deshalb das, was Freud „pädagogischen Eros“ genannt hat. Seitens des Käufers bedarf es jedoch der Bereitschaft, sich belehren zu lassen, der Bereitschaft also zu einem ungleichen Tausch. Nicht zufällig hat Freud Lehren – neben Regieren und Kurieren – einen der „drei unmöglichen Berufe“ genannt. Unmöglich, weil hier Absicht und Erfolg notwendigerweise nicht übereinstimmen. Experte zu sein, „Subjekt, dem Wissen unterstellt wird“, erweist sich letztlich als eine unmögliche Position, eine, die man nicht erfüllen kann. ISOLDE CHARIM