theorie und technik : Der Band „Krieg + Kunst“: Was sich lange wehrt, wird endlich gut
Morgenthau, später
Irgendwie steht jetzt alles auf der Kippe. Der Gedanke kam mir, während ich, noch fröstelnd wegen der monokelbewehrten Militärs auf CNN, eine warme Dusche nahm. Nato zerbrochen, UNO ein Papiertiger, EU zurückgeworfen. Sie sagen, der „eurasische Block“ sei schuld, mit Acker, Iwan und dem elenden Froschfresser. Unter Mühen kämpfe ich gegen die Versuchung an, mir ein Aznar-Bärtchen stehen zu lassen, um auf der Murdoch Street in unserem Barrio nicht schräg angeguckt zu werden.
Das Charakteristische an Vorkriegen scheint zu sein, dass sie neuartige Bündnisse in Gang setzen. Plötzlich gibt es mitfühlende Bellizisten, stiernackige Friedensbewegte, Fundamentalopportunisten, alles bunt durcheinander gewürfelt. Zwangsläufig sucht man nach eigenen Ad-hoc-Koalitionen, um nicht gänzlich im Regen zu stehen.
Und so greift man vielleicht nach einem Buch, das wie ein Reflektor der aktuellen Erregungslage daherkommt. Schwarz der Umschlag, darauf ein Chromosomenpaar in giftigem Neon-Orange, das in seiner artifiziellen Anordnung den Buchstaben „K“ formt. „K“ wie Krieg, aber auch wie Kultur, deren vermeintliche Natürlichkeit, den Lauf der Dinge betreffend, hier bereits assoziativ in Frage gestellt wird. Als Mitherausgeber des Bandes „Krieg + Kunst“ firmiert Bazon Brock, ein erfahrener Paktierer. Hinter ihm schart sich die Forschungsgruppe „Kultur + Strategie“, ein loser Zusammenhang von Big Names aus dem Theoriebetrieb, u. a. Slavoj Zizek, Friedrich Kittler, Peter Sloterdijk und andere apokalyptische Reiter.
Nun würde man vermuten, dass die in zahllosen Action-Teachings geführte Attacke gegen die „selbstüberzeugten […] Kriegs- und Konfliktbeschwichtiger“ bei ihrer Wiedervorlage in Buchform ein ziemlich ungutes Geschmäckle aufweisen müsste – einfach weil der rabiate Tonfall mit den aktuellen Sprachnöten im Sicherheitsrat und der nächsten Eckkneipe nicht mehr zur Deckung gebracht werden kann. Eigenartigerweise ist genau das Gegenteil der Fall. Denn der aufgeklärte Alarmismus, mit dem hier die „mangelnde Realitätstauglichkeit“ (Bazon Brock) des Westens bzw. das mediale „Containment des Schreckens“ (Norbert Bolz) diagnostiziert wird, wirkt erst jetzt als durchaus angemessene Verfahrensweise und nicht, wie damals, ein bisschen wie eine gruselige Euroween-Party.
Gerne unterschreibt man nun die Prognose, Europa bleibe eine „Ansammlung törichter Einzelkulturen“ (Heiner Mühlmann), die in der neuen Weltordnung nicht mehr tun könne, als die Ergebnisse ihrer Selbstbeobachtung zu globalisieren. So schlimm, wie es sich anhört, ist der Abstieg in die zweite Liga nämlich nicht. Europa wird sicher noch gebraucht, da ein erzwungener Ausnahmezustand, eventuell über Jahre hinweg, ein erhebliches Sinn- und Legitimationsdefizit heraufbeschwören wird. Fraglich scheint indes, ob sich Vergils „Aeneis“, das Ulrich Heinen als mythischen Antrieb für Europas „Weltfriedenskultur“ ausmacht, als auch nur annährend so erfolgreich erweisen könnte wie die messianischen und popkulturellen Erlösungsmotive des „Last action hero“.
Über den letzten Souverän ist übrigens zu lesen, er habe „sich die Freiheit erkämpft, nicht mehr höflich sein zu müssen“. Und wie aufrichtig belustigt wäre er wohl angesichts solcher Bändigungsversuche, wie sie der verlässliche Spalter Martin Kippenberger im hier abgebildeten „Krieg böse“ in Szene setzte: Ein kleiner Nikolaus mit Rute versucht, einen Panzer an der Weiterfahrt zu hindern. Das war auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges. Tempi passati.
JAN ENGELMANN
Bazon Brock/Gerlinde Koschik (Hg.): „Krieg + Kunst“. Wilhelm Fink Verlag, München 2002, 344 S., 39, 90 €