theorie und technik : Poesie und Erkenntnisfortschritt: vom Nutzen und Nachteil der Metapher für das Denken
Metaphern sind eine Möglichkeit, Menschen, die anders ticken, einen Zugang zum eigenen Denken zu eröffnen
Vor einigen Jahren wohnte ich einer Diskussionsveranstaltung an der Humboldt-Universität bei. Irgendwann meldete sich ein in Berlin berühmter Philosoph zu Wort, der beklagte, die Sachzwänge der Globalisierung würden wie das Gesetz der Schwerkraft behandelt. Dabei, so wandte er ein, zwinge ihn doch auch dieses nicht dazu, „dass ich meine Uhr zu Boden fallen lasse“.
Vielleicht war das der Augenblick, in dem ich meinen an Bewunderung grenzenden Respekt vor berühmten Philosophen verloren habe. Denn was hat der Denker damit denn zum Ausdruck gebracht? Dass die Menschen Techniken entwickelt haben, die gegen die Naturgesetze wirken – auch wenn diese Gesetze weiter gelten. Solche „Naturgesetze“ gibt es freilich in gesellschaftlichen Prozessen gerade nicht, auch wenn Kräfte wirksam werden, die sich der Kontrolle einzelner oder Gruppen von Subjekten entziehen. Menschen können sich immer auch anders verhalten, als sie sich bisher verhielten, und damit die „gesellschaftlichen Gesetzmäßigkeiten“ verändern. Eine Kleinigkeit, die sie von einem Stein unterscheidet, der vom Fernsehturm fällt.
Zur Verteidigung des Philosophen muss freilich gesagt werden, dass die Beschreibung von gesellschaftlichen Vorgängen in naturwissenschaftlichen Begriffen eine metaphorische Falle ist, in die Menschen verdammt häufig plumpsen.
An diese Episode musste ich mich erinnern, als mir unlängst ein kluger Artikel aus dem kanadischen Toronto Star in die Hände geriet. Darin ging es um die Bedeutung von Metaphern und Analogien für den Fortschritt des Wissens. In der Poesie ist das Metaphorische ohnehin das Mittel schlechthin, den Anderen (und sich selbst auch) Erfahrungsräume und Perspektiven zu öffnen, die bislang für sie verschlossen waren – indem Assoziationsketten geknüpft werden, die „Verstehen“ ermöglichen.
Aber auch die abstrakten Naturwissenschaften sind undenkbar ohne Analogien dieser Art. Die alten Griechen blickten aufs Meer hinaus und hatten das Bild vor Augen, das ihnen half, die Theorie von den Schall-Wellen zu entwickeln. Dieselbe analogische Abstraktion diente später für das Verständnis der Wellentheorie des Lichts. Die moderne Mathematik gilt ohnehin als die „Wissenschaft der Analogie“ – gelöste Probleme werden als Blaupausen für ungelöste Probleme genützt. Die Analogie ist eigentlich die einzige Möglichkeit, Menschen, die völlig anders ticken als man selber, einen Zugang zum eigenen Denken zu ermöglichen. Ein Wissenschaftler beschreibt etwa, wie er einem Typen, der von schwarzen Löchern keine Ahnung hatte, seine Idee von denselben darstellte – als riesigen See, in dem Boote in die Tiefe gezogen werden wie Spielzeug in den Ausfluss einer Badewanne.
Die Stärke der Analogie ist, dass sie etwas sichtbar macht. Ihre Schwäche ist, dass der Import eines Bildes in ein fremdes Feld immer auch eine substanzielle Identität insinuiert, die meist nicht zu halten ist. Ein solch typischer Fall ist der Vergleich moderner gesellschaftlicher Prozesse mit religiösen Kategorien. Gerade in jüngster Zeit macht Walter Benjamins lange vergessenes Fragment über den „Kapitalismus als Religion“ einige Furore. Ein starkes Indiz dafür, dass die „Verheißungen“ des Kapitalismus mit denen des Religiösen vergleichbar sind, ist die Identität zentraler Begriffe wie Credo und Kredit, Erlös und Erlösung, Schulden und Schuld, Gläubiger und Glauben, Offenbarungseid und Offenbarung. Berühmt und umstritten sind auch die Sätze aus Carl Schmitts „Politischer Theologie“, wo es heißt, „alle prägnanten Begriffe der modernen Staatslehre sind säkularisierte theologische Begriffe“, und weiter: „Der Ausnahmezustand hat für die Jurisprudenz eine analoge Bedeutung wie das Wunder für die Theologie.“ Mit Beispielen wie diesen wollten Schmitt und seine späteren Schüler aller Couleur die ungebrochene Macht des Theologischen beweisen. Dem entgegnete damals Hans Blumenberg in einer berühmten Replik, die Analogie der Sprache beweise keine „Analogie des Inhalts“. Die metaphorische Sprache, die etwas sichtbar macht – und deshalb keineswegs wertlos ist –, könne also ordentlich in die Irre führen.
Kurzum: Das Metaphorische ist ein wichtiges Zeichensystem, über das wir verfügen, aber das auch über uns verfügt. Eine Metapher lenkt immer auch den Fluss der Gedanken, wie – Achtung, Metapher! – ein Flussbett das Wasser. Kein Fortschritt des Wissens ohne den Mut zum Metaphorischen. Aber einen neuen Kontinent des Wissens erobert man oft erst dann, wenn man sich von den feinen Fesseln der Metapher befreit.
Man muss sich, sagt ein Naturwissenschaftler dem Toronto Star, das Universum, das sich stetig ausdehnt, wie einen Luftballon vorstellen, der aufgeblasen wird. Das heißt natürlich nicht, dass das Universum demnächst platzt. ROBERT MISIK