tempo 30 im dunkeln : Ausgeschlafen ins Nachtleben
Berlin ist Trubel. Laut und lärmend. Rund um die Uhr. Das ist ein Teil der Qualität der Stadt. Wer aber jemals in einem Vorderhaus an einer der viel befahrenen Hauptstraßen gewohnt hat, kennt die Nachteile des Dauerlärms nur zu gut. Denn Autofahrer geben keine Ruhe. Nicht tagsüber. Und nachts erst recht nicht. Sie bringen die Anwohner nicht nur um den Schlaf. Sie machen sie krank, erwiesenermaßen. Nun schreitet der Senat endlich ein: 66 Kilometer der Berliner Hauptstraßen sollen sich allnächtlich in Tempo-30-Zonen verwandeln.
Kommentar von Gereon Asmuth
Bisher gibt es nächtliche Verkehrsberuhigung vor allem dort, wo sich ein Kläger gegen den Lärm findet. Jemand, der sich mit seinen Rechten auskennt. Jemand, der das notwendige Geld besitzt, eine Klage bis zum Ende durchzustehen. Dadurch ergab sich schnell eine ungleiche Verteilung der Schutzzonen.
Statt auf weitere Kläger zu warten, legt der Senat nun ein stadtweites Konzept vor, mit dem die Ruhebereiche gerechter in der Stadt platziert werden sollen. Fast müsste man die Landesregierung für solch ein gleichermaßen umweltpolitisches wie soziales Engagement in den sanftesten Tönen preisen. Wenn der Senat denn nicht mal wieder nur auf Geheiß von oben reagiert hätte.
Denn das Lob gebührt in erster Linie den oft und gern verunglimpften Bürokraten in Brüssel. Die Minderung des Verkehrslärms in großen Städten ist eine Vorgabe der Europäischen Union. In Berlin wird sie von der Landesregierung nur konsequent umgesetzt.
Den Zorn der Benzinjunkies wird der Senat dennoch auf sich ziehen. Die Autolobby wird aufschreien, der ADAC toben. Die PS-Protze werden die Motoren aufheulen lassen. Alle zusammen werden Krach schlagen ohne Ende. Vergeblich. Ihr lärmendes Getue wird nur nochmals verdeutlichen, wie notwendig die Ruhigstellung der nächtlichen Stadt ist. Denn nur die Ausgeschlafenen können sich ganz entspannt den wahren Qualitäten des Berliner Nachtlebens widmen.
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