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Archiv-Artikel

teegespräche in england von EUGEN EGNER

Als aus der Entfernung entschieden anglophiler Mensch war ich von der kürzlich ins Werk gesetzten leibhaftigen Begegnung mit England einigermaßen enttäuscht. Was mich so lange davon abgehalten hatte, eine Reise in das bewunderte Land zu wagen, verdarb mir diesen Aufenthalt: mein Unvermögen, die Landessprache perfekt zu sprechen. Ich hielt daher lieber das Maul.

Selbstverständlich ließ sich das nicht konsequent durchhalten, weshalb ich Gelegenheit hatte, mich aufs Peinlichste zu blamieren. Auch schmerzte mich die weit verbreitete Vorliebe für Kunststoff-Bettwäsche. Die Gegenstände des täglichen Gebrauchs sind in England überhaupt oft von höchst eigenwilliger Art, wie ich feststellen musste. Zum Beispiel die unglaublich primitiven und gefährlichen Riegel zum Versperren der Toilettentüren: Nur mit Gewalt waren sie zu bewegen und dabei scharfkantig wie Rasierklingen. Bereits an meinem ersten Morgen in Großbritannien trug ich Heftpflaster an beiden Zeigefingern.

Gewöhnungsbedürftig auch die sanitären Einrichtungen: fast außerhalb der Waschbecken angebrachte Wasserhähne sowie Klosettdeckel, die man nur zu zweit hochheben kann.

Auf die britischen Frühstücksverhältnisse war ich ja vorbereitet gewesen, nicht jedoch auf die nimbusschädigenden Gewohnheiten der fast nur noch Kaffee trinkenden Engländer, Tee zuzubereiten. Es raubte mir alle Illusionen, mit ansehen zu müssen, wie einfach große Teebeutel in mit heißem Wasser gefüllte Kannen geworfen wurden. Wenn es überhaupt irgendwo losen Blatttee gab, über den kochendes Wasser gegossen wurde, dann lag er lose auf dem Boden der Kanne und zog, bis diese leer war.

Als Deutscher kann man sich nicht gut hinstellen und den Engländern vormachen, wie das richtig geht – eine ansonsten reizende alte Gastgeberin hatte mir, dem 1951 Geborenen, sowieso schon Hitler zum Vorwurf gemacht und sich nur dadurch versöhnt gezeigt, dass „wir“ andererseits auch Beethoven hervorgebracht haben – trotzdem habe ich dank der Wirkung eines solchen Aufgusses, sehr zum Verdruss meiner Ehefrau, eines späten Nachmittags Aufsehen in einem Lokal zu Canterbury erregt.

Meine Laune wurde immer grandioser, denn der Tee war so stark, dass er unters Betäubungsmittelgesetz fiel. Lautstark verkündete ich den Serviererinnen spontan ersonnene Teeregeln. Ich wischte sogar das Festtagsmenü von der Tafel, besorgte mir in der Küche farbige Kreide und erließ folgende Vorschriften:

Erstens: je länger die Ziehzeit, desto länger die Teezeit.

Zweitens: je stärker der Tee, desto größer die Kanne.

Das gesamte Personal umringte mich inzwischen, desgleichen die Gäste. Leider blieb ich nicht beim Thema Tee, sondern ließ mich zu Spekulationen über eine streng riechende violettfarbene Soße hinreißen, die mir mittags im selben Restaurant serviert worden war und mir das ansonsten schmackhafte Gericht völlig verdorben hatte. Ich konnte es nicht länger für mich behalten, dass mir später beim Tigergehege des nahe gelegenen Zoos exakt der Duft jener Soße wiederbegegnet war. Es hätte nicht viel gefehlt, und zu den weiter oben erwähnten Heftpflastern wären noch Gipsverbände und Wundnähte hinzugekommen.