taz-serie: trend 2006 : Im nächsten Jahr werden mehr deutsche Firmen gejagt
Lag in diesem Jahr eine Märklin-Bahn unter dem Tannenbaum? Sie könnte wertvoller sein, als man denkt. Zumindest für Traditionalisten, die etwas gegen renditeorientierte Finanzinvestoren haben. Denn angeblich haben Investmentfonds die Fühler nach dem Göppinger Hersteller von Modelleisenbahnen bereits ausgestreckt. Die Bücher würden schon geprüft, berichtete das manager-magazin vor einigen Wochen. Ein Einstieg könnte schon innerhalb der kommenden drei Monate erfolgen.
Egal, ob der Deal zustande kommt oder nicht: 2006 wird weitere Debatten über die so genannten Heuschrecken bringen. Denn die Zahl der Firmenübernahmen durch Finanzinvestoren, die Private Equity Fonds, wird mindestens gleich bleiben, wenn nicht sogar steigen. Das meint jedenfalls Alexandra Krieger, Referatsleiterin Wirtschaft bei der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.
Auch Thomas Pütter, Vorsitzender des Bundesverbandes Deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften (BVK), geht davon aus, dass das Volumen bei Leveraged-Buy-outs (LBO), also dem Einstieg eines Investors in ein reiferes Unternehmen, steigen wird. „Die Zinsen sind niedrig, und viele Unternehmen haben noch Restrukturierungsbedarf.“
Im vergangenen Jahr haben Finanzinvestoren laut Pütter 600 bis 700 Millionen Euro in LBOs investiert. Die BVK berücksichtigt bei diesen Zahlen nur das tatsächlich eingesetzte Kapital und zum Beispiel keine Kredite, die ein Investor für den Kauf aufgenommen hat. Auch Immobilienverkäufe bleiben außen vor. Wer diese Werte mit einrechnet, wie die Wirtschaftsprüfer von Ernst &Young, kommt für 2005 auf ein Investitionsvolumen von knapp 30 Milliarden Euro in Deutschland.
Vor allem mittelständische Unternehmen, die Geld für Wachstum oder Restrukturierung brauchen, sind beliebte Ziele für Finanzinvestoren. Auch Familienunternehmen, bei denen kein Nachfolger in Sicht ist, sind interessant. Und trotz der vom damaligen SPD-Chef Franz Müntefering im Frühjahr losgetretenen Heuschrecken-Diskussion ist diese Entwicklung für den Mittelstand „eher positiv“ sagt Krieger. „Trotz Ausreißer wie bei Grohe.“ Der Armaturenhersteller war eines der meistzitierten Beispiele für die neue „Heuschreckenmentalität“ im vergangenen Jahr.
Das Unternehmen wurde 2004 von einer Private-Equity-Gesellschaft an zwei andere verkauft. Die kündigten an, dass der Auslandsanteil der Produktion von 20 auf 50 Prozent steigen soll. Gewerkschafter befürchten, dass bis zu 3.000 Arbeitsplätze in Deutschland verloren gehen.
Damit so etwas bei Firmenübernahmen im neuen Jahr nicht passiert, müssen gerade die Belegschaftsvertreter ihre Beraterrolle und Informationspflicht in den Aufsichtsräten ernst nehmen, sagt Krieger. Die Arbeitnehmer müssten die Übernahmeprozesse intensiv begleiten. „Verhindern können sie die Unternehmenskäufe nicht.“
STEPHAN KOSCH