taz-lab-Kolumne weiter/machen #4 : Auf unbestimmte Zeit
Wie fühlt es sich an, wenn jeder Tag der letzte in Deutschland sein könnte? Unsere Autorin schreibt über die Ungewissheit dreier Kinder, die mit ihrer Familie abgeschoben werden sollen.
![Kinder an einer Kletterwand Kinder an einer Kletterwand](https://taz.de/picture/7521897/14/rachel-U4zpPfvogJ4-unsplash.jpg)
tazlab | „Was, wenn sie inzwischen abgeschoben worden sind?“, sage ich und schlucke den Kloß in meinem Hals hinunter. Meine Kollegin und ich warten in dem Jugendtreff, in dem wir arbeiten. „Vielleicht sind sie auch einfach nur zu spät“, antwortet sie. Es sind Schulferien und wir wollen einen Ausflug in die Kletterhalle machen, aber drei Kinder aus der Gruppe fehlen.
Die drei Geschwister sind vor einem Jahr nach Deutschland gekommen. Seitdem hängen sie fast jeden Nachmittag mit ihren Freund*innen bei uns rum. Nun soll ihre Familie abgeschoben werden. Deutschland sei laut der sogenannten Dublin-Verordnung nicht zuständig für ihr Asylverfahren, so steht es in dem Brief des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge.
Der Brief ist nichts anderes als ein „Wir wollen euch loswerden“, sauber verpackt in einem der berüchtigten gelben Umschläge des BAMF. Wer so einen Brief bekommt, kann jederzeit von der Polizei abgeholt und in ein Flugzeug gesetzt werden – ohne vorherige Ankündigung.
![](https://taz.de/picture/7481196/14/tazlab-keyvisual-2025-online.jpeg)
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Gefühle der Ungewissheit
Auch die Kinder wissen das. Seit Erhalt des Briefes ist ihr Leben in Deutschland ein Weitermachen auf unbestimmte Zeit. Sie gehen weiterhin morgens in die Schule, kommen danach zu uns oder gehen zum Fußballtraining. Sie streiten sich weiterhin darüber, wer als erstes an die PlayStation darf und machen Pläne für die Ferien. Ohne zu wissen, ob sie bis dahin überhaupt noch hier sind.
Manchmal erzählen sie uns, wie sehr diese Ungewissheit sie belastet. Natürlich versuchen wir dann – so gut es geht – ihre Gefühle aufzufangen. Besser wäre vermutlich, es gäbe für derartige Situationen eine professionelle, psychologische Begleitung.
Wenn wir uns nicht gleich auf den Weg machen, kommen wir zu spät zum Klettern. Ich schaue auf die Uhr, meine Kollegin nickt mir zu. Gerade, als sich eine Mischung aus Wut und Traurigkeit in mir breit macht, kommen die drei Geschwister zur Tür hereingerannt. „Mein Bruder hat verschlafen!“, erklärt die Jüngste.
■ Hier schreiben unsere Autor*innen wöchentlich übers „weiter/machen“ – das Motto des taz lab 2025.
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