taz fordert: Referendum zur Rettung der ARD-Sportschau: Gute Nacht, allerseits
■ Die Sportschau, seit 30 Jahren legale Lieblingsdroge eines jeden Fußballfans, Dreh- und Angelpunkt der Samstagabendgestaltung, scheint endgültig geliefert...
Gute Nacht, allerseits Die Sportschau, seit 30 Jahren legale Lieblingsdroge eines jeden Fußballfans, Dreh- und Angelpunkt der Samstagabend- gestaltung, scheint endgültig geliefert. Die Medienmacher hinter Sat1 haben sich für wahnwitzige Millionenbeträge die Übertra- gungsrechte ab Sommer 1992 gesichert und die ARD in die zweite Reihe verwiesen.
Die ersten Entzugserscheinungen wurden vor drei Jahren beobachtet. Plötzlich sträubten sich die Nackenhaare von Millionen Fernsehzuschauern, die rechten Beine zuckten wild, und todesähnliches Röcheln drang aus zahllosen Männerkehlen. Der Grund war eine Nachricht, wie sie unglaublicher nicht sein konnte: Die Sportschau, legale Lieblingsdroge eines jeden Fußballfans, war vom Aussterben bedroht. Schuld an den Phantomschmerzen war der Verkauf der Fußball-Übertragungsrechte an die Bertelsmann-Tocher Ufa. 135 Millionen Mark legte der Mediengigant für drei Jahre Bundesliga an, um seinen Privatsender RTLplus populär zu machen. Damit war das Liga-Fußball-Monopol von ARD und ZDF nach 25 Jahren gebrochen.
Doch die Öffentlich-Rechtlichen, die nur 67,5 Millionen Mark aufbringen wollten, hatten damals noch einen Joker im Ärmel: die nahezu 100prozentige Vollversorgung der Fernsehhaushalte. Der DFB- Vertrag forderte damals eine mindestens 80prozentige Flächendeckung. RTLplus bediente lediglich fünf Millionen Anschlüsse. In dieser Situation machte der Privatsender seinen entscheidenden Fehler: Statt den Hauptgegner zu liquidieren, ließ man ihn am Leben: Die Zweitverwertungsrechte gingen an die ARD und ZDF, der Mythos Sportschau konnte märtyrerhaft weiterbestehen.
So erfreute sich die Sportschau weiter steigender Einschaltquoten von bis zu 13 Millionen, während die nachfolgende dreistündige RTL- Sportshow Anpfiff niemals mehr als zwei Millionen Zuschauerherzen erreichen konnte. Als endlich die Spielzeit von Anpfiff reduziert und das Konzept mehr der Aktualität als der Game-Show unterworfen wurde, war der Abpfiff längst vorprogrammiert. 1991 gab RTL entnervt auf.
Dennoch hatte sich der Deal gelohnt. Trotz des Flops schrieb die Ufa aufgrund der hohen Werbeeinnahmen und dem gestiegenen Bekanntheitsgrad schwarze Zahlen. Eine Tatsache, die auch dem Privat- Kontrahenten SAT1 nicht entging. Der Sender, unter der Kontrolle des Axel-Springer-Verlags und des Film-Moguls Leo Kirch, begann das große Rechnen. Zuvor hatte ein heftiger Streit den Großeinsatz von SAT1 gehemmt: Der damalige Springer-Chef Peter Tamm verweigerte Leo Kirch, der 16 % der Springer-Aktien hält, sowohl die Anerkennung der Sperrminorität als auch einen Sitz im Springer-Aufsichtsrat. Erst unter dem neuen Springer-Vorstandschef Günter Wille konnte sich Kirch seinen Herzenswunsch erfüllen und seinen Generalbevollmächtigten Joachim Theye ins Kontrollgremium setzen. Das neue Glück der beiden Multi-Medien-Partner beflügelte die Unternehmerlust. Sie wiesen den Geschäftsführer ihrer gemeinsamen Münchner Agentur ISPR (Internatonale Sportrecht-Verwertungsgesellschaft) an, die Fußball-Übertragungsrechte zu kaufen. Axel Meyer-Wölden kaufte für 700 Millionen Mark die Bundesliga- Übertragungsrechte ab Sommer 1992 für fünf Jahre.
Und plötzlich sind sie wieder da, die Entzugsqualen. Denn diesmal geschieht allen Anzeichen nach das Undenkbare: Die Sportschau, seit 30 Jahren Dreh- und Angelpunkt der Samstagabendgestaltung, wird gemeuchelt. Von einem waschechten Brutus: SAT1-Sportchef Reinhold Beckmann, einst Zögling von Heribert Faßbender, will seine noch als strenge Verschlußsache gehandelte Sportschau auf die Sendezeit der Sportschau legen. Einzig den Intendanten von ARD und ZDF scheint der sich abzeichnende sudden death der letzten öffentlich-rechtlichen Sendung mit steigenden Zuschauerzahlen einfach nicht einzuleuchten. Angesichts der horrenden Beträge boten sie diesmal gar nicht erst mit und verließen sich selbstbewußt auf ihre vermeintliche Stärke der Vollversorgung. Doch so kann man sich irren: Die 80-Prozent-Klausel wurde laut DFB-Justitiar Eilers aus dem neuen DFB-Vertrag gestrichen. Bleibt die gesetzliche Informationspflicht. Meyer-Wölden beschwört einer zur Zeit rund 74prozentigen Flächendeckung durch SAT1. Eine Zahl, die dem WDR-Indendanten Friedrich Nowottny aufs ärgste erbost: „SAT1 dürfte auf ungefähr 60 Prozent kommen.“ Trotzig drohen die Öffentlich-rechtlichen nun damit, ihr im Rundfunk-Staatsvertrag verbürgtes Recht auf 90 kostenlose Sekunden Berichterstattung wahrzunehmen. Für sie bedeutet das 90 Sekunden von jedem Spiel.
SAT1 sieht es naturgemäß anders: 90 Sekunden von jedem Spieltag. Im Zwist um das große Fußball- Geld denkt so mancher gar ans Faustrecht: SDR-Sportchef Meyer-Rhön kündigte an, sich mit Hilfe der starken Jungs vom Werkschutz Zugang zu den Stadien zu verschaffen. In diesem Gerangel will auch der DFB mitmachen, muß er doch um seine TV- Einnahmen bangen. Und mit ihm die Klubs, die ihre Beute von je vier Millionen Mark längst in den Etat eingeplant haben. Obgleich bereits eine Verfassungsklage läuft, kündigte der streitbare DFB-Liga-Ausschußvorsitzende Gerhard Mayer-Vorfelder eine weitere an, sollten sich ARD und ZDF stur stellen. Und er droht: Falls sich ARD und ZDF uneinsichtig zeigen, müsse der DFB leider auch die Vergabe von Länderspielen neu überdenken. Nicht ganz die feine Art, aber logisch.
Warum die Intendanten bezüglich der werbeträchtigen Ware Fußball derart lethargisch bleiben, ist rätselhaft. Schon vor Jahren verpaßten sie die Gründung einer eigenen Sportrechte-Vermarktungsagentur. Die Vorteile, die sie alleine durch die zahlreichen Kontakte ihrer Reporter gehabt hätten, wären unschätzbar gewesen. Unter Umständen hätten sich sogar die Preise in refinanzierbaren Dimensionen gehalten: Noch 1988 tendierte DFB-Chef Neuberger dazu, die Rechte billiger an die altgedienten Sender zu vergeben. Mittlerweile jedoch ist der Zug endgültig ohne die erste Reihe abgefahren. Gegenüber dem Kölner 'Express‘ gab sich Intendant Nowottny geradezu paranoid: „Beim WDR war es Beckmanns großes Ziel, einmal die Sportschau zu moderieren.“ Meyer-Wölden kontert süffisanter: „Wer die Rechte hat, ist nur verpflichtet, einem einzigen weiteren Sender das Berichterstattungsrecht zu gewähren. Das muß nicht die ARD sein.“
Durch diesen Trick spaltet die ISPR die erste Reihe, wo die Stühle ohnehin längst nicht mehr so dicht aneinanderstehen. Dem Aktuellen Sportstudio, das mit sinkenden Einschaltquoten zu kämpfen hat, täte die Fußball-Zweitverwertung gut. Gingen die Zweitrechte andererseits an die ARD, würde eine bereits angedachte Sportshow nach der von SAT1 gesendeten aufs Unangenehmste mit dem ZDF-Studio konkurrieren. Eine Konstellation, die Spannung verspricht, wenn die Elefantenrunde aus Albert Scharf (Indendant des Bayerischen Runfunks), ZDF-Intendant Dieter Stolte, Kirch- Bevollmächtigter Theye und Springer-Chef Wille erneut zusammentreten, um die Übertragungsmodalitäten auszuhandeln. Die erste Runde ist vergangene Woche bereits ergebnislos gescheitert. Der nächste Termin zur möglichen Rettung der Sportschau steht noch nicht fest. Doch ist es unwahrscheinlich, daß sie in ihrer jetzigen Form am Leben bleibt. Eine derartige Institution als Konkurrent zu belassen, wäre schlicht dumm. Und dumm ist Reinhold Beckmann keinesfalls. Als erstes lockte er die Stars und Reporter der Öffentlich-Rechtlichen mit enormen Gehältern zu sich. Gerd Rubenbauer, Uli Köhler (beide BR), Thomas Herrmann, Markus Jestedt und der Nicker Rolf „Töppi“ Töpperwien sollen die geheimnisvolle Anziehung bereits verspüren, die Verpflichtung von Volker Kottkamp (Südwestfunk) steht praktisch fest. Mit Ernst Huberty will Beckmann gar einen Mann der ersten Sportschau-Stunde holen.
Doch was wird aus Heribert und seinem, ach, unserem geliebten „Guten Abend, allerseits“? „Ich hatte gleich zu Beginn eine Anfrage direkt von Herrn Wille“, so Faßbender. „Das hat sich aber zerschlagen.“ Warum, will Mister Sportschau nicht preisgeben. Ist es Sentimentalität, Verrat? Die Antwort macht staunen: „Nein, ich schätze Reinhold Beckmann sehr. Ich nehme es keinem übel, wenn er geht, da bin ich emotionslos. Doch um Volker Kottkamp tut es mit wirklich leid. Seit 1963 reisen wir zusammen um die Welt und sind gut befreundet. Und er ist ein erstklassiger Redakteur.“ Noch wartet Jurist Faßbender die Verhandlungen ab, bevor er an die Zukunft denkt. Doch es klingt schon verdächtig nach Endzeitstimung, wenn der Mann, der 30 Samstage pro Jahr zur familienfreundlichsten Sendezeit über zehn Millionen Mattscheiben flimmerte, die Geheimnisse seiner Schau preisgibt: „Wir haben der Versuchung widerstanden, mehr Show zu machen. Was die Leute um die Uhrzeit wollen, ist kurzweilige Information mit vielen Höhepunkten. Kein Spielbericht darf acht Minuten überschreiten, keine Moderation länger sein als eine Minute.“ Über zehn Jahre lang leitete und moderierte Heribert Faßbender die Sportschau gleich konservativ. Über zehn Jahre lang wurde er angefeindet ob seiner Eitelkeit. So wirkt der locker dahingeworfene Satz des Mister Sportschau abschließend wie ein finales Selbstbekenntnis: „Wissen Sie, in Wirklichkeit steht der hohe Bekanntheitsgrad des Sportschau-Moderators in umgekehrtem Verhältnis zu seiner journalistischen Fähigkeit.“ Gute Nacht, allerseits! Michaela Schießl
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