■ taz-Serie: Weltbank - Tanz der Vampire: Schuldenfakir Indien Auf dem Weg in eine Schuldenfalle / Konsumrausch der Mittelschichten / Scheinheiliges Lob für indische Wirtschaftskraft
Teil 12: Uwe Hoering
Schuldenfakir Indien
Auf dem Weg in eine Schuldenfalle / Konsumrausch der Mittelschichten / Scheinheiliges Lob für indische Wirtschaftskraft
Berlin (taz) - „Die Rolle der Weltbank ist unbedeutend“, sagt die zierliche alte Dame resolut. „Wenn sie das Narmada -Projekt nicht mitfinanzieren will, hat die Regierung keine Probleme, das Geld woanders aufzutreiben.“ Frau Rangoonwalla, die als Sprecherin einer der vielen Organisationen, die gegen das zu rund zehn Prozent von der Weltbank finanzierte riesige Staudamm-Vorhaben in Zentral -Indien opponieren, gewiß keine Apologetin der Bank, hat recht - und doch auch wieder nicht. Indien ist kein Schuldnerland, dem die Gläubigerbanken Vorschriften machen könnten. Andererseits ist die Position ganz so unerschütterlich, wie Frau Rangoonwalla in nationalem Stolz meint, doch nicht - jedenfalls nicht mehr. Zuerst die gute Nachricht: Indien hat kein Sternchen, mit dem der Weltentwicklungsbericht die hochverschuldeten Länder „auszeichnet“, und das, obwohl es mit mehr als 35 Milliarden Dollar Auslandsschulden den fünften Rang in der Schuldenhitliste einnimmt. Die langfristigen Auslandsschulden machten Mitte der achtziger Jahre 15 Prozent des Bruttosozialprodukts aus, der Schuldendienst fraß weniger als 13 Prozent der Exporteinnahmen auf. Keine dramatischen Werte also. Es sieht so aus, als hätte Indien ein Rezept gefunden, der „Schuldenfalle“ zu entgehen.
Das Rezept heißt, auf ein Schlagwort reduziert, „self reliance“: das Vertrauen auf die eigenen Kräfte. Das indische Entwicklungsmodell der „Gemischten Wirtschaftsordnung“ zielte auf wirtschaftliche Unabhängigkeit durch eine Kombination planwirtschaftlicher Komponenten mit kapitalistischem Unternehmertum. Wirtschaftliche Muskeln sollte das Land durch den Aufbau einer staatlichen Grundstoff- und Schwerindustrie und eine gezielte Importsubstitution antrainiert bekommen. Die darauf aufbauende Exportförderung sollte dann den Bedarf nach ausländischer Finanzhilfe langfristig mindern.
Für die Finanzierung der ehrgeizigen Entwicklungspläne nahm der Liebling der Geber kräftig ausländische Hilfe in Anspruch. Kommerzielle Kredite privater Banken waren die Ausnahme. Die zinsgünstigen bi- und multilateralen Kredite flossen in die „Grüne Revolution“, den Bau von Kraftwerken und Stahlwerken, Staudämmen und Infrastrukturmaßnahmen.
Zusätzlich wurde die Entwicklung durch inländische Kreditaufnahmen finanziert, die durch die Verstaatlichung der Banken 1971 erleichtert wurde. Insbesondere Premierministerin Indira Gandhi suchte in den siebziger Jahren die Eigenständigkeit der mit viel sozialistischer Rhetorik verbrämten indischen Variante kapitalistischer Entwicklung zu stärken. Unter weitgehender Abschirmung vom Weltmarkt und der ausländischen Konkurrenz gelang der Aufbau einer einheimischen Industrie. Die Wirtschaftskraft stieg stetig, wenn auch mit einer „Hindu-Wachstumsrate“ von durchschnittlich 3,5 Prozent eher langsam.
Strukturelle Anpassung
Und nun die schlechte Nachricht: Was nicht gelang, war eine ausgeglichene Handelsbilanz zu erzielen. Sie blieb chronisch negativ, in der ersten Hälfte der achtziger Jahre mit jährlich knapp 3 Milliarden Dollar - ein Damokles-Schwert über dem Haupt der „self reliance“.
Die Exportschwäche indizierte einen grundlegenden Strukturdefekt der staatlich gepäppelten und geschützten indischen Industrialisierung, die das Beste von Sozialismus und Kapitalismus vereinigen sollte, und das Schlechteste von beiden erhielt: Monopolposition der Unternehmer, hohe Unternehmenskonzentration, niedrige Kapazitätsauslastung, veraltete Technologie, schwerfällige bürokratische Prozeduren.
Mit dem chronischen Handelsbilanz-Defizit begründete R. Venkataraman, damals Finanzminister, heute zum Staatspräsidenten aufgestiegen, 1981 den indischen Antrag auf einen IWF-Kredit - nicht auf irgendeinen, sondern auf den größten der IWF-Geschichte: 5 Milliarden US-Dollar. Verhandlungen mit dem IWF resultierten in einem „Anpassungsprogramm“, das Auflagen vorsieht: Importbeschränkungen und Investitionshürden für in- und ausländisches Kapital abzubauen, eine Exportförderung in Gang zu setzen und das Steuersystem zu reformieren. Den Weg für ein gehöriges Maß an Wirtschafts-Liberalismus schossen allerdings, wenn auch unbeabsichtigt, erst jene Sikh -Terroristen frei, die im Oktober 1984 aus Rache für die Punjab-Politik Indira Gandhi ermordeten, die mit ihrem liebgewordenen sozialistisch-populistischen Image einem radikalen wirtschaftlichen Kurswechsel a la IWF noch Fesseln angelegt hatte. Ihr Sohn Rajiv legte mit der Liberalisierung erst richtig los, gut beraten von ehemaligen Weltbank-Leuten und nahezu einhellig angefeuert von der nationalen Presse. Mit ihm, so wurde suggeriert, hatte Indien seinen Weg ins 21.Jahrhundert endlich gefunden!
Die Kritik an der Wende, am Verlust wirtschaftspolitischer Souveränität und am Schuldenmachen ging schnell im Konsumrausch unter. Die neuen Rezepte bescherten dem indischen Mittelstand eine lang entbehrte Warenflut: Fernsehgeräte, Video, Computer, Fastfood, japanische Kleinwagen und Motorräder, elektrische Küchengeräte, Kosmetika etc. Die private Kaufkraft, bis dato durch Mangel an attraktiven Verbrauchsgütern zum Nutzen der Entwicklung auf die Sparkonten in den verstaatlichten Banken umgeleitet, entlud sich nun in einem Kaufrausch.
Statt wie bisher den Konsumverzicht zugunsten staatlicher Investitionen zu erzwingen, sollte nun der Konsum Motor sein, um die private Wirtschaft zu modernisieren und anzukurbeln. So gestärkt und erneuert sollten dann die Exporte gesteigert werden - indische Kleinwagen nach Afrika, why not? Damit könnten dann die Devisen verdient und die Kredite zurückgezahlt werden, die zunächst für die notwendigen Technologie-Importe und die explosionsartig wachsenden Rüstungskäufe ausgegeben wurden.
Auf dem Weg zum Stern
Irgendwie funktionierte der indische Seiltrick nicht. Zwar wurde die traditionelle „Hindu-Wachstumsrate“ verdoppelt, aber der Ausgleich der Handelsbilanz, der durch das „Anpassungsprogramm“ erreicht werden sollte, ist auch heute, sieben Jahre später, noch ein fernes Ziel. Der Schuldendienst ist 1987 auf 27 Prozent der Exporteinnahmen gestiegen. Und er wird weiter steigen, weil die Exportaussichten schlecht sind und die Rückzahlung des IWF und anderer Kredite anläuft. An der Schraube gedreht hat nicht nur Indien selbst mit seiner Gier nach moderner Technologie und Waffen, sondern auch die Geberländer und die Weltbank, die den Zufluß zinsgünstiger Darlehen, wie zum Beispiel der IDA-Kredite, in den letzten Jahren massiv gedrosselt haben. Indien mußte zunehmend mit Krediten zu schlechteren Konditionen zufrieden sein. Jetzt sind die Geber sogar dabei, das Land verstärkt auf kommerzielle Kredite abzudrängen, mit scheinheiligem Lob für die „Stärke der indischen Wirtschaft“, die keine Vorzugsbehandlung mehr benötige.
Die indische Regierung steht gleichzeitig unter dem Druck interner Haushalts-Defizite und Verschuldung. Die Staatseinnahmen reichen gerade für die explosionsartig gewachsenen Rüstungsausgaben, für Gehälter und für Subventionen für Dünger und Grundnahrungsmittel. Die Entwicklungsprogramme werden überwiegend mit inländischen Krediten finanziert, deren Spielraum jedoch weitgehend ausgeschöpft ist. So könnte die indische Regierung bald gezwungen sein, im Ausland weitere Kredite aufzunehmen. Damit verstärkt sich der Druck, auch anderen Forderungen von IWF und Weltbank nun endlich nachzukommen, insbesondere die zahlreichen Staatsbetriebe der Schlüsselindustrien zu verstaatlichen und die immensen Subventionen abzubauen. Das wäre nun allerdings das endgültige Ende des indischen Entwicklungsweges. Politisch wäre die Umsetzung der Weltbank -Forderung allerdings Selbstmord. Die Bauern sitzen Rajivs Regierung mit Klagen über hohe Produktionskosten im Nacken, die Bediensteten im Öffentlichen Dienst streiken gerade für höhere Löhne. Und spätestens Ende 1989 stehen Wahlen an. Wie gesagt, so rosig, wie Frau Ranoonwalla meint, ist die Lage längst nicht mehr.
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