taz-Serie Neu-Berlinern: Modenschau oder was?
Bei Stilfragen kann in Berlin nachgebessert werden, meint Sofie Tarp-Hauser. Ein Treffen von zwei Däninnen im zweiten Teil der „Neu-Berlinern“-Serie.
Als sie auf mich zukommt, ist mein erster Gedanke: „Sie ist viel zu chic, um deutsch zu sein.“ Ich stehe mit meiner kleinen Tochter in einem Modeladen in der Alten Schönhauser Straße, der Königin der Hipsterstraßen in Mitte, und die Verkäuferin fragt, ob sie mir helfen kann. Wir unterhalten uns lange, ihr Deutsch klingt in meinen Ohren sogar sehr deutsch, und ich denke, dass das Leben voller Überraschungen ist. Erst als ich bezahlen will und mich an meine Tochter auf Dänisch wende, sagt die Verkäuferin überrascht: „Jeg er også dansker!“ – Ich bin auch Dänin!
Das nächste Mal sehen wir uns in ihrer skandinavisch-minimalistisch eingerichteten Wohnung in Niederschönhausen. Hier lebt Sofie Tarp-Hauser mit ihrem Mann Christian und ihren zwei kleinen Kindern Filippa und Luis. Wegen Christian und seiner Arbeit für einen internationalen Sportrechtevermarkter ist die Familie vor einem halben Jahr nach Berlin gezogen. Christian ist halb Deutscher, halb Österreicher und wuchs in Frohnau im Nordwesten Berlins auf, wo er, erzählt Sofie, „eine wunderbare Kindheit“ verbrachte. Die berufliche Odyssee von Christian – und damit auch der Lebenslauf der kleinen Familie – führte 2011 für eine kurze Zeit nach Prenzlauer Berg, dann vier Jahre nach Hamburg, anschließend zwei Jahre nach Stockholm, bevor sie jetzt im nordöstlichen Berlin endete.
„Obwohl Stockholm Skandinavien ist und nah an Dänemark und ich das Gefühl hatte, alles zu kennen, war es da schwer“, erzählt Sofie Tarp-Hauser. „Die Stockholmer sind nicht offen, auf dem Spielplatz hieß es: ‚Was willst du?‘“ Als ihr Mann wieder versetzt werden sollte, waren die Möglichkeiten: Schanghai, Manchester, München. Und Berlin.
„Auch wenn ich immer ein Hass-Liebe-Verhältnis zu Berlin hatte, war es mir klar, dass es Berlin sein musste. Aber es war November, als ich die Straße hier in Niederschönhausen das erste Mal sah. Ich kam direkt aus Östermalm, wo wir wohnten, und habe gedacht: Grau, kaputt, unglamourös“, schildert Sofie Tarp-Hauser ihren ersten Eindruck. Schließlich hat man es bei Östermalm mit dem exklusivsten und teuersten Stadtteil Stockholms zu tun. „Dazu ist die Berliner Schnauze ziemlich roh, man lernt die Motherfuckerjacke anzuziehen“, sagt sie und lächelt.
Selbst ist die 32-Jährige in Dragør aufgewachsen. Dragør ist eine wunderschöne kleine Hafenstadt ganz nah bei Kopenhagen. Mit Niederschönhausen hat Dragør ungefähr so viele Gemeinsamkeiten wie Weimar mit Dortmund.
Sarkasmus geht hier gar nicht
Immer mehr internationale Zuzügler sind in den vergangenen Jahren nach Berlin gekommen. Sei es, weil die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Voraussetzungen in ihren Heimatländern nicht mehr stimmen, sei es, weil sie beruflich oder privat an der Spree neu durchstarten wollen. Was suchen und was finden sie in Berlin? Unsere Autorin Henriette Harris, die 2004 aus Kopenhagen nach Berlin kam, stellt die Neuankömmlinge an dieser Stelle einmal im Monat vor.
Durch die Kitas ihrer Kinder kam Sofie sofort mit vielen Menschen aus der Gegend in Kontakt. „Ganz ehrlich muss man über die Deutschen sagen, dass sie Sarkasmus nicht verstehen. Als Dänin muss man sich hier die eingefleischte, sarkastische Art abgewöhnen. Sie wird einfach nicht verstanden“, sagt sie. „Und weil ich mich für Mode interessiere und die Kinder nicht in Jogginghose abgebe, wurde hier in Niederschönhausen schon etwas schräg geguckt. Ich hatte das Gefühl, dass die anderen Mütter dachten: Da kommt sie wieder. Was denkt sie eigentlich, wer sie ist? Gibt’s hier vielleicht eine Modenschau oder was?“, grinst Sofie Tarp-Hauser.
Ihren ersten Eindruck hat sie aber revidieren müssen. „Die Leute hier sind sehr aufmerksam und nett, wenn man sie kennenlernt. Und jetzt merke ich viel mehr Neugierigkeit und höre ganz oft: Wo hast du das Kleid gekauft? Arbeitest du eigentlich in der Modebranche?“
Tatsächlich arbeitet sie einmal die Woche in einem Modeladen. „Ich brauchte etwas, um mal weg von zu Hause zu kommen, um auch mein eigenes Erwachsenennetzwerk aufzubauen. Und durch den Laden habe ich mehrere Menschen kennengelernt“, erzählt sie.
Ein Hauch von Mitte
Wir gehen raus. Sofie will mir ihr Lieblingscafé in der Berliner Straße zeigen, wo sie manchmal den Morgenkaffee trinkt, wenn die Kinder beim Morgenkreis in ihren Kitas sitzen. Es heißt Liebes Bisschen, draußen sind Töpfe mit lila und gelben Blumen, die Inneneinrichtung ist hell und einfach. Stammgäste sitzen da mit ihren Laptops, trinken Caffè Latte und essen Sandwiches mit Mozzarella und Pesto. Mitte ist gar nicht so weit weg wie erst gedacht.
Sofie erzählt, wie sie in dem Laden, in dem sie arbeitet, eine deutsche Grafikdesignerin und Fotografin kennengelernt hat. Beide arbeiten sie jetzt zusammen für ein gemeinsames Projekt: ein Buch über deutsche und dänische Mütter mit Stil. „Ich finde die Frauen und habe die Ideen zum Styling. Bei Instagram heißen wir ohmother_style. Da kann man sich schon was anschauen. Die Frauen sind unterschiedlich alt und überhaupt nicht alle jung. Die bis jetzt älteste ist 60. Und sie kommen aus Kopenhagen, einem Schloss in Nordjütland, Kiel, Köln. Auch Frauen, die in Berlin wohnen, sind dabei, aber bis jetzt keine ursprüngliche Berlinerin“, erklärt Sofie Tarp-Hauser.
Über den Stil der Frauen in Berlin äußert sie sich mit Vorsicht, aber nicht ohne scharfen Blick. „Also, sie könnten sich schon ein bisschen mehr für ihre Kleider interessieren, Frauen wie Männer. Ich mag durchaus diesen trashy-hausbesetzer-style, den man nirgendwo sonst sieht, aber trotzdem. Guter Geschmack ist nicht immer zu sehen“, sagt Sofie. „Aber sie lassen sich schnell beeindrucken. Wenn man Klamotten auf eine einmalige Art und Weise zusammengestellt hat, gibt es Komplimente. Das finde ich sympathisch. Es ist das Gleiche, wenn man Deutsch spricht. Sie sind so was von begeistert. Es ist echt süß“, sagt sie.
Wir verlassen das Café und gehen spazieren. Sofie möchte mir den Schlossgarten zeigen. Auf den Weg dahin gehen wir an der kleinen Statue von Carl von Ossietzky vorbei. Ich erzähle ihr von dem von den Nazis drangsalierten Journalisten und Pazifisten. „Toll!“, sagt sie. „Werde ich meinem Vater erzählen, wenn er das nächste Mal zu Besuch ist.“ Ihr Vater freut sich auf den Text über seine Tochter. Er ist Anwalt in Kopenhagen und liest seit je die taz im Netz.
Wo mal Wilhelm Pieck residierte
Wir gehen durch den schönen Schlosspark Schönhausen. Der Garten wurde vor mehr als 300 Jahren angelegt, Friedrich der Große hat 1740 das Barockschloss seiner Gemahlin Elisabeth Christine geschenkt. Er hockte im Schloss Sanssouci, sie war hier, miteinander hatten sie wenig zu tun. Zur DDR-Zeit war das Schloss Amtssitz von Wilhelm Pieck, dem ersten und einzigen Präsidenten der Republik. Jetzt ist alles schön und offen mit grünen Wiesen, netten Cafés und Kindern, die toben.
„Jeden Tag mag ich Berlin immer mehr. Es gibt so viele kreative Menschen, ständig begegnet man jemand. Und die Freundschaftscliquen sind nicht so alt, es ist nicht so schwierig, da einen Platz zu finden, wie es in Hamburg oder Stockholm war. Ich mag auch, dass es in Berlin Platz für alle gibt. Wohlhabende und weniger Wohlhabende leben Tür an Tür. Man kann sagen, dass Berlin die Stadt der Freiheit ist. Ein Ort, an dem man neue Projekte anfangen kann“, sagt Sofie Tarp-Hauser.
Wir trennen es vor dem Park. Sie geht jetzt ihre kleinen Kinder abholen und ich schaue ihr nach. Es hat dreißig Grad, ich selbst bin mehr oder wenig aufgelöst – aber Sofie sieht immer noch chic und frisch aus. Und irgendwie, als ob sie schon zu Berlin gehört.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!