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taz-Serie: Grenzen des WachstumsGenuss statt Waffen

Nicholas Georgescu-Roegen übertrug die Gesetze der Thermodynamik auf die Ökonomie. Seine Schlussfolgerung: die Wirtschaft muss schrumpfen.

Radfahren: eine ressourcenschonender Genuss. Bild: dpa

BERLIN taz | Nicholas Georgescu-Roegen kann als Vater der Décroissance-Bewegung gelten. Der Begriff stammt zwar nicht von ihm selbst, doch 1979 wurde in Frankreich eine Sammlung seiner Texte herausgebracht unter dem vielsagenden Titel "Demain la Décroissance" (Morgen Wachstumsrücknahme).

Eine spätere Auflage trug den Untertitel "Entropie, écologie, économie". Und das fasst exakt zusammen, worum es dem 1906 im rumänischen Constanta geborenen und 1994 in den USA gestorbenen Mathematiker und Ökonomen ging.

Sein Interesse galt dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik, wonach die Entropie oder Unordnung in geschlossenen Systemen irreversibel zunimmt. Wird zum Beispiel ein Gas in der Ecke eines geschlossenen Raums freigesetzt, breiten sich die Moleküle überall hin aus - sie werden sich nie wieder in der ursprünglichen Ecke sammeln.

Bezogen auf die Ökologie bedeutet das, dass hochwertige Energien - solche mit geringer Entropie - wie etwa Strom sich zwar leicht in andere Energieformen wie Wärme oder Bewegung umwandeln lassen. Der umgekehrte Prozess gelingt aber nur mit hohen Umwandlungsverlusten.

Wachstumskritik

Der Mythos: Viele gehen davon aus, dass die Wirtschaft immer weiter wachsen muss, um die Welt zu ernähren.

Die Kritik: Spätestens seit der Club of Rome 1972 "Die Grenzen des Wachstums" vorstellte, ist klar: Wachstum ist auf einem endlichen Planeten nicht unendlich.

Die Alternativen: Etliche Wachstumsskeptiker beschäftigen sich mit diesen Fragen. Die einen fordern eine Verlangsamung des Wachstums, andere einen Stopp, die letzten eine Rücknahme. (bw)

Georgescu-Roegen wandte dies auch auf die Ökonomie an. 1971 erschien sein Buch "The Entropy Law and the Economic Process" mit der These, dass auch Wirtschaftsprozesse irreversibel zu mehr Entropie und weniger nutzbaren Ressourcen führen. Auch die Wirtschaft sei eben kein Perpetuum mobile. Ökonomie wird notgedrungen in der Ökologie aufgehen müssen, schlussfolgerte er daraus.

Das Ende der Fahnenstange

Doch blieb er nicht beim Plädoyer für eine nachhaltigere Entwicklung stehen. Selbst ein "steady state", also ein Anhalten des Wachstums, reiche in einem geschlossenen System wie der Erde nicht aus. Denn da Entropie durch alles Wirtschaften zunimmt, sei irgendwann das Ende der Fahnenstange erreicht. Die Ökonomen müssten sich daher endlich damit befassen, wie man das Wachstum umkehren kann - oder eben in der französischen Übersetzung: wie man die Décroissance managen kann.

Um die Zunahme der Entropie wenigstens zu verlangsamen, stellte er ein "bioökonomisches Programm" auf. Es sieht unter anderem ein Ende der Energieverschwendung vor - nur Sonnenenergie ist reichlich vorhanden -, Maßnahmen in Richtung Bevölkerungsrückgang und nicht zuletzt eine Umverteilung der vorhandenen Ressourcen von den Ländern des Nordens in den Süden.

Insgesamt solle die Wirtschaft nicht auf immer mehr materiellen Wohlstand ausgerichtet sein, sondern auf mehr Lebensgenuss. Und es dürfe auch nicht immer nur um die Maximierung der gegenwärtigen Wohlfahrt gehen. Die Aufgabe der Ökonomie sei es vielmehr, künftiges Leid zu minimieren.

Nur ein Jahr nach "The Entropy Law" erschien das viel beachtete Buch des Club of Rome, "Die Grenzen des Wachstums". Plötzlich stand Georgescu-Roegen nicht mehr allein da. In einer flammenden Verteidigung des Reports attackierte Georgescu-Roegen die Mainstream-Ökonomen, weil diese die Endlichkeit der Ressourcen entweder ignorierten oder einem irrationalen Glauben an Innovationen anhingen, die das Problem schon irgendwie lösen würden.

Der Tanz um den Computer

In demselben Aufsatz "Energy and Economic Myths" stellte er eine Reihe von Forderungen auf, was sich in der Welt alles ändern müsse. Dazu gehören für ihn der Verzicht auf Kriegswaffenproduktion ebenso wie auf Luxus und modische Extravaganzen, außerdem Energiesparen, langlebigere Güter und mehr intelligent genutzte Freizeit.

Es dauerte jedoch nicht lang, bis er sich vom Club of Rome wieder absetzte, der seinem radikalen Weg nicht folgen wollte. Der Club "tanzt nur noch um die Computer herum, statt mit voller Kraft den Kampf aufzunehmen gegen die Rüstungsproduktion, gegen die Rohstoffverschwendung für Luxus in den Industrieländern, gegen die schreckliche Ungleichheiten zwischen den Nationen", schrieb er enttäuscht.

Mit seinen Ideen war Georgescu-Roegen seiner Zeit offenbar zu weit voraus. Obwohl er als Wirtschaftsmathematiker angesehen war, litt er unter der Missachtung des wirtschaftswissenschaftlichen Establishments, dessen einseitige Orientierung an den neoklassischen Theorien er doch als falsch ablehnte.

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8 Kommentare

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  • SA
    Schreiber-Martens, Alwine

    Also eigentlich ist es trivial - in einer endlichen Welt kann es langfristig(!) keine Wachstumsprozesse materieller Dinge mit festen Wachstumsraten geben. Das liefert exponentiellen Verlauf, und der bricht in einer endlichen Welt ab - krisenhaft. Der einzige Ausweg ist: Wachstumsraten müssen verschwinden = gleich 0 werden, oder es darf auch mal Schrumpfen sein. Und dass die Ökologie und das Soziale die Basis der Ökonomie – die drei Begriffe der Nachhaltigkeit – sein müssen, ist eigentlich auch trivial. Also eigentlich bleibt da „nur“ die Frage: wie gelingt dann Wirtschaften? Es lohnt, mal das Geldsystem zu betrachten, und generell den Gedanken: Wenn etwas „knapp“ ist – alle brauchen es und wenige haben die Verfügung – dann fließen Knappheitsrenten an die Verfügenden. Das ist beim Geld so und auch bei den Naturressourcen, alle anderen Güter sind vom Prinzip her nicht knapp, denn sie können durch menschliche Arbeit vermehrt werden. Kriegswaffenproduktion: schon Keynes hat darauf hingewiesen, dass man dem nicht mit Moral („es müsste“, „es dürfte nicht“) beikommt, es geht um Rentabilität – oh, da haben wir doch schon wieder das Geldsystem! Ja, auch die Bedeutung der Gedanken von Georgescu-Roegen wurde seinerzeit nicht erkannt. Mit dem einfachen Vorschlag der Geldsystemkritik – anstelle des „Zuckerbrotes“ fürs Verleihen = Zins eher einen kleinen Nadelstich, zeitabhängig und mengenabhängig, fürs Verfügen über Geld– ist es ähnlich: Und ähnlich ist es auch mit dem Gedanken bezüglich der Naturressourcen: Die Nutzung Verteuern und das Verteuerungsaufkommen direkt ausschütten – als Grundeinkommen. Der Gedanke wurde schon vor mehr als 200 Jahren von Thomas Spence geäußert.

  • SA
    Schreiber-Martens, Alwine

    Grenzen des Wachstums

    Eigentlich sind die „Grenzen des Wachstums“ selbstverständlich – in einer endlichen Welt. Da kann jede Sache mit materiellem Träger auf Dauer keine konstanten Wachstumsraten größer als Null haben, und die nichtmateriellen „Sachen“ kann man nicht messen! Feste Wachstumsraten haben einen exponentiellen Wachstumsverlauf als Folge. Und dieser Verlauf bricht krisenhaft ab. Langfristig(!) stabile Verläufe sind nur mit Wachstumsraten, die gegen Null fallen, also schließlich Null sind, möglich. Bezogen auf den Artikel lautet also die einfache Frage, insbesondere an die Wirtschaftswissenschaft: Wie kann menschliches Wirtschaften ohne Wachstum funktionieren? Das ist nicht gleichbedeutend mit Schrumpfung, also Abnahme, und auch nicht mit Stagnation, sondern einfach mit Stabilität. Auch die Verknüpfung von Wohlstand und Wachstum – leider auch in dem Artikel! – wird durch die dauernde Wiederholung nicht logisch zwingend. Aber wo liegt ein Zusammenhang? Tja, Urbild ist das Vermögenswachstum. Wenn solches Wachstum ausschließlich aufgrund eigener Leistung der Vermögensinhaber erfolgt, ist eigentlich alles im grünen Bereich: menschliche Leistungsfähigkeit stößt an natürliche Grenzen, somit auch derartiges Wachstum. Aber: Unsere Ökonomie ist getragen von leistungslosen Vermögenseinkünften, entsprechend der Größe der Vermögen. Das kann auf Dauer nicht gehen, s.o. Das Urbild solchen Wachstums ohne eigene Leistung ist der Zins- und Zinseszinsmechanismus der Geldvermögen. Die heute überbordenden spekulativen Vorgänge sind da „nur“ die selbstverständliche Folge dessen, dass über ein bis zwei Generationen dieser Motor das Wachstum der Geldvermögen angetrieben hat. Aber nicht zu vergessen sind auch die prinzipiell „knappen“ Naturressourcen, allen voran der Boden. Knappe Güter bescheren denen, die darüber verfügen, Renten = leistungslose Einkommen. Das ist der einfache Kern der Problematik. Aber noch zum Artikel vom 27.12.11 in der Printausgabe: Dort wird der Zinsmechanismus erwähnt, und dann steht da: „Weil Stagnation oder Schrumpfung mit Krise gleichzusetzen ist, mit Arbeitslosigkeit und Schulden.“ Warum eigentlich? Arbeitslosigkeit ist eine rasche Folge der Deflation, richtig. Schulden sind die Kehrseite von Geldguthaben, richtig. Diese Zusammenhänge sind einleuchtend. Folgerichtig sind also Methoden gegen Deflation und das Wachstum der Guthaben zu suchen. Heutzutage gilt der Zinsmechanismus als notwendig, weil anders die gesparten Gelder nicht dem Wirtschaftskreislauf zur Verfügung gestellt würden, also deflatorisch wirken würden. Der Zins wäre demnach die Verlockung, die dafür sorgt, dass Spargelder wieder die ursprüngliche Funktion des Geldes, nämlich die Zirkulationsfunktion, erfüllen. Das eröffnet eine andere, naheliegende Denkmöglichkeit, die so einfach ist, dass sie vielleicht gerade deshalb sowohl der Wirtschaftswissenschaft als auch vielen Menschen noch nicht sehr vertraut ist: Anstelle der Verlockung zum Verleihen könnte eine kleine Last für das Nicht-Weitergeben das gleiche bewirken: Wer gerade über das Zahlungsmittel verfügt, zahlt während dieser Dauer entsprechend der Menge eine Gebühr, sagen wir z.B. 6% jährlich bzw. 0,5% monatlich bzw. 1/60 % täglich. Wer aber nicht darüber verfügt, weil das Geld gerade als Kredit jemandem anderen dient, oder auch weil er oder sie einfach keines (mehr) hat, zahlt nicht. Die erwartete Folge wäre: Geld wird rasch weitergegeben, denn sonst kostet es. Das fördert die Konjunktur ohne Kosten für den Staat, im Gegenteil, denn die Gebühr ist eine öffentliche Einnahme. Es ist auch kein Strohfeuer, sondern bewirkt Dauerkonjunktur. Es ist ein einfaches Mittel gegen Deflation mit grundlegendem Unterschied zur zwiespältigen Inflation. Auch sie treibt den Geldumlauf an, entwertet aber gleichzeitig die Geldvermögen, Löhne, (Alters-)Renten. Die genannte Methode würde dafür sorgen, dass Spargelder bereitwillig(er) für das Verleihen zur Verfügung gestellt werden, denn dadurch entgeht man ja der Last. Offenbar verstärkt dies das Angebot an Kreditmitteln, und dies wiederum senkt nach den Gesetzen von Angebot und Nachfrage den Preis der Kredite für die Kreditnehmer, bzw. genauer den Guthabenzins als Teil des Kreditzinses. Der Zins könnte so sogar seine Funktion als Knappheitsindikator dort wieder erlangen, wo dies jetzt verloren gegangen ist: nämlich bei zunehmender Fülle der Geldvermögen. In einer nicht-wachsenden Wirtschaft, die der Befriedigung des Bedarfs, nicht dem Wachstum von Vermögen dient, und in der der Geld-Güter-Kreislauf geschlossen ist, ist es einfach(er), das Schrumpfen zu realisieren: Dafür brauchen wir letztlich einfach weniger zu arbeiten.

  • N
    noevil

    Kaum zu glauben, auf welches Kopfschütteln man bei Politik, Wirtschaft, Finanzamt und Steuerberater stößt, wenn man solche Gedanken -wie ich vor vielen Jahren- wagt, laut auszusprechen. Als Kind bin ich mit solchen provokanten Gegenreden immer messerscharf an Ohrfeigen der Lehrkräfte vorbei geschrammt (damals durften sie das noch..)

     

    Dabei dürfte dies - heute mehr denn je - doch nur logisch sein, wenn man auch nur ein klein wenig über seinen begrenzten Tellerrand hinaus sieht.

     

    Das gilt in erster Linie für unseren Umgang mit Ressourcen und Umwelt und führt im logischen Weiterdenken genau zu den Folgerungen wie beschrieben und wie wir sie heute erleben, wenn wir sie nicht wahrheitswidrig, spitzfindig und irreführend umdeuten nach dem Motto: Was nicht passt wird passend gemacht.

     

    Also hilft da nur eines: immer mal wieder die gegenwärtige Situation aus anderen Entfernungen und Perspektiven betrachten, dann sieht man das Ganze und weiss, wo der "Hammer hängt". Und dann aktiv werden - oder die Folgen und die Verantwortung dafür auf sich nehmen.

  • V
    Valentin

    Liebe Frau Liebert,

     

    vielen Dank für diesen erhellenden Artikel. Sie sind auf der richtigen Fährte. Bleiben Sie dran. Als ehrgeizige Journalistin müssten Sie sich doch jetzt fragen, warum wird so etwas nicht umgesetzt, und schon haben Sie eine Lebensaufgabe. Aber das könnte gefährlich werden.

     

    Es gab schon immer viele große Wissenschaftler, die über den Tellerrand hinausgeschaut haben und schon vor Jahrzehnten klar erkannt haben, worauf es ankommt. Nur leider gibt es in unserer Welt schon noch viel länger Kräfte an der Macht, die zu verhindern wissen, dass soche Erkenntnisse im Mainstream ankommen und Berücksichtigung finden, vor allem in der Politik.

    Und da versagen unsere angeblich so freien Massenmedien, und leider auch die taz.

  • S
    Skyjellyfetty

    Ohne von diesem Professor zu wissen hatte ich zur fast der selben Zeit,ich war damals 16-17,die selben Gedanken,ohne wissenschaftlichen Hintergrund.

    Damit brauchte ich allerdings niemandem zu kommen,denn darüber wurde nur der Kopf geschüttelt und dem Gott des Wachstums gehuldigt.

    Späte Genugtuung.Auch nett.

  • UH
    Udo Henn

    Es war schon immer falsch, den Leuten vorzuschreiben, was und wieviel sie konsumieren duerfen. Das sollte man dem Markt ueberlassen. Und solange die Anzahl der Menschen steigt, wird es auch Wachstum geben. Dies ist wuenschenswert, denn sonst wuerde man ja Armut propagieren. Wenn es aber gelingt, die Menschheit durch Reduzierung der Geburten zu dezimieren, kommt die Schrumpfung von ganz allein.

  • K
    KFR

    Hauptproblem dürfte das Ungleichgewicht ( siehe Radfahrer ) von frei vagabundierenden Spekulations-gelder und deren fehlende Deckung durch reale Objekte, Werte ( Abschreibung, Wert-Verlust ) sein. Aber das dämmert zwischenzeitig auch Frau Bundeskanzler ??

  • KS
    Karl Sonnenschein

    Danke fuer den Artikel!