taz-Profis analysieren Wahlplakate: Mit bunten Reklamen Vertrauen aufbauen
Die Parteien haben ihre Plakate für die Abgeordnetenhauswahl vorgestellt. Für die taz analysieren die Profis des hauseigenen Marketings, ob und wie die Werbung der "großen vier" wirkt
Die SPD will Berlin verstehen. Und zwar alle. Versöhnt die Mieter mit dem (Mieter-)Schutz, die Hertha-Fans und die von Union, Kotti und Ku'damm, Kreuzberg und Touristen sowie Bildung und gebührenfrei. Und auch noch Kinder und Beruf. Logoplatzierung oben rechts ist bei Außenwerbung sinnvoll. Vom Wording her die Schlagworte der aktuellen Debatten auf die einfachsten Antagonismen gebracht - nicht überragend, aber auch nicht schlecht typografiert vor unterschiedlichen monochromen Hintergründen (vor allem das Lila, die Farbe von Tennis Borussia, als Hintergrund für Hertha vs. Union ist schön). Alles in allem steht der SPD dieser Versuch der Reduktion ganz gut.
"Da müssen wir ran", dachte sich bestimmt auch die langjährige Hausagentur der Grünen. Die Motive sind inhaltlich allerdings enorm erwartbar, kann passieren bei einer Partei, die erstmals in ihrer Geschichte derartigen Zuspruch erfährt. Die Störer sind in rougher "Plakatkleber"-Optik gehalten und stellen somit einen Bezug zur Wahl her. Textlich wurde auf (moderaten) Angriff geschaltet, was vielen Wählern bestimmt aus der Seele spricht. Bei den Plakaten der Grünen wird deutlich, dass sich die Wahlthemen aller Parteien nur in Nuancen unterscheiden.
Die Linken haben ein zentrales grafisches Element gefunden: den (roten) Punkt und wie viel man damit so machen kann. Raufkleben, Headlines reinschreiben, groß oder klein machen, Akzente setzen, Muster erschaffen. Die Behauptung "Wir bringen's auf den Punkt" wird geerdet durch den Claim "Das soziale Berlin". Damit macht die Partei sich unverwechselbar, wiedererkennbar und ist eindeutig positioniert. Die Gestaltung bewegt sich konsequent innerhalb des rot-weißen Corporate Designs und bringt den großen Vorteil, sich schnell politischen Aktualitäten anpassen zu können.
Die CDU spart an Varianz, nicht jedoch an visueller Kraft: Der Claim in fetter Typo auf bewegtem, halbtransparentem Grund. Handelt es sich hier um den vielgescholtenen Parteiensumpf, gegen den auch optisch angegangen werden soll? Die CDU bleibt sich jedenfalls treu. In einem Wettbewerb mit extrem kurzer Kampagnenzeit spielt sie direkt auf die mangelnde Veränderungskraft der rot-roten Koalition an. Für eine derart coole Nummer fehlt der CDU in Berlin allerdings die Voraussetzung. Vielleicht hätte Mut zur konkreten, eigenen Themensetzung auf den Motiven geholfen.
SPD:
Slogan: "Berlin verstehen." Etwas unverständlich bleibt, wer jetzt hier eigentlich die Stadt versteht? Und was daran so neu sein soll? Immerhin ist die SPD seit 22 Jahren im Senat. Da sollte sie schon einiges verstanden haben.
Motiv: Text. Vermeintliche Gegensatzpaare mit und verbunden. Ist super. So super, dass das auch die Grünen in einer Plakatreihe machen.
Farbe: Viel Weißraum im Hintergrund. Könnte man als Aufforderung zur Bürgerbeteiligung verstehen. Oder für Notizen.
Grafik: Nichts als Grafik.
Foto: Ein zweites SPD-Plakat zeigt Klaus Wowereit, schwarz-weiß, lässig, mit Krawatte und Jackett. Und mit vielen Falten! Obwohl ihn jeder erkennt, steht sein Name dick drunter.
Inahlt: Vom Parteiprogramm ist nichts zu erkennen.
Wahlwirkung: Vermeintliche Gegensatzpaare werden verbunden: Grün und Schwarz?
Nebenwirkung: Steigende Besucherzahlen im Stadion.
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LINKSPARTEI:
Slogan: "Wir bringen's auf den Punkt." Inhaltlich ist das zwar auch nur eine Behauptung, grafisch aber stimmt sie.
Motiv: In der Parteizentrale trägt das Plakat den Namen "100 Punkte". Zum Glück nur intern - denn zu sehen sind nur 89. Soll das eine Anspielung auf den Mauerfall sein?
Farbe: Rot. Was sonst?
Grafik: Sehr grafisch, erinnert ein bisschen an das Bergtrikot bei der Tour de France. Allerdings werden die ganzen alten SED-Wähler im Osten ohne Brille nix lesen können. Und nichts verstehen. Vielleicht ist das aber auch genau so gewollt.
Foto: Kein Foto.
Inhalt: Jede Menge. Vor allem die Forderung "Regionalbahnhof Köpenick bauen" hat die Linke exklusiv. Das dürfte Wählerstimmen ziehen.
Wahlwirkung: In Köpenick enorm.
Nebenwirkung: Stadtweit explodierende Umsatzsteigerung bei Optikern.
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GRÜNE:
Slogan: "Da müssen wir ran!" Will sagen: "Wir müssen mal ran!" (an die Macht).
Motiv: Drängende Masse, die sich um Wohnraum kloppt. Streng quotiert. Mehr als die Hälfte Frauen, dazu Migranten, Kinder, Schwangere, Alte, Brillen - und Schnurrbartträger.
Farbe: Bömpel in Grün. Was sonst?
Grafik: Stilisierte Falten in aufgedruckten Aufklebern. Begeistert mit Sicherheit die Altwähler, denen die Grünen sonst zu glatt wären.
Foto: Armbandaufdruck, Knopfleisten und Bruststicker lassen bei genauem Hinschauen erkennen: Das Motiv wurde seitenverkehrt gedruckt. Versteckt sich hier am Ende gar eine subtile Botschaft!?
Inhalt: Aktuelles Thema, echtes Problem - fehlt nur noch die Lösung.
Wahlwirkung: Zieht in der Innenstadt. Für Plattenbaubewohner unverständlich.
Nebenwirkung: Wenn die Tür zufällt, klemmen sich gleich mehrere die Finger.
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CDU:
Slogan: "Damit sich was ändert". Stimmt! Wer tatsächlich eine andere Politik will, müsste CDU wählen. Problem: Das will in Berlin eigentlich kaum jemand, obwohl sich der Spitzenkandidat sogar in Brüssel für Solarenergie ausspricht. Der Slogan dürfte also mehrheitlich eher als Warnung verstanden werden.
Motiv: Klare Ansage auf unscharfem Hintergrund. Sollte sich da was ändern, würde das gar nicht auffallen.
Farbe: Blau. Passt schon zur CDU. Dieses Orange, das die Union in den vergangenen Jahren bei all den Bundes- und Landeswahlen gern auf ihre Plakate gepappt hat, war auch eher anbiedernd und eine Kopie der orangenen Revolution in der Ukraine.
Grafik: Nichts als Grafik.
Foto: Ein zweites CDU-Plakat zeigt Frank Henkel, schwarz-weiß, lässig, ohne Krawatte und Jackett. Damit man ihn erkennt, steht sein Name dick drunter.
Inhalt: Vom Parteiprogramm ist nichts zu erkennen.
Wahlwirkung: Ändert nichts.
Nebenwirkung: Nicht mal das.
(sta, ga)
Nina Schoenian ist Leiterin Kreation in der taz-Marketingabteilung
Willi Vogelpohl ist Leiter der taz-Marketingabteilung
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