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„taz“ & Cohn-Bendit auf der Buchmesse„Ich halte Parteien nicht aus“

Daniel Cohn-Bendit diskutiert im taz-Gespräch auf der Buchmesse mit dem Sozialpsychologen Harald Welzer Sinn und Unsinn von Parteien im 21. Jahrhundert.

taz-Reporter Peter Unfried und Daniel Cohn-Bendit in Leipzig. Screenshot: taz

LEIPZIG taz | Daniel Cohn-Bendit hält politische Parteien für unverzichtbar. „Ich bin überzeugt, dass man Parteien braucht“, sagte der Fraktionsvorsitzende der Grünen im EU-Parlament beim taz-Gespräch in Leipzig. „Das Problem ist nur: Ich halte sie nicht aus.“ Cohn-Bendit ist Europas bekanntester Grüner und tritt nach zwei Jahrzehnten EU im kommenden Jahr nicht mehr zur Wiederwahl an.

Im völlig überfüllten Neuen Schauspiel in Leipzig diskutierte Cohn-Bendit am Samstagabend mit dem Sozialpsychologen und Klimakulturforscher Harald Welzer und taz-Chefreporter Peter Unfried über Welzers neues Buch „Selbst Denken“ und die Frage, wie Politik beschaffen sein muss, um die Krisen des 21. Jahrhunderts meistern zu können. Es war ein faszinierendes Gespräch, wie es nur jenseits des Fernsehens funktionieren kann: Lange Wortbeiträge, komplizierte Zusammenhänge, große Gedanken - einige Zuschauer murrten einmal sogar, als zwischendurch die Band Ökosex spielte: Sie wollten nicht, dass der Gedankenfluss unterbrochen wurde.

Harald Welzers Thesen: Gesellschaften und Politik verweigerten sich den bereits spürbaren Krisen des 21. Jahrhunderts. Industriegesellschaften hätten keine Vorstellung mehr von einer Zukunft und beschäftigten sich vornehmlich mit dem Festklammern am Status Quo. Die an den Kapitalismus gekoppelten emanzipativen Potenziale seien ausgeschöpft, derweil die Warenproduktion und die damit verbundene Übernutzung der Ressourcen und Klimaveränderung aus dem Ruder laufe.

Die Parteipolitik sei in einen „verhängnisvollen Illusionismus“ übergegangen und tue nur noch so, als gestalte sie. Aus Parteien kämen keine Impulse mehr. Veränderung beginne mit einer durch alle Schichten gehenden Avantgarde, die ihr Nicht-Einverstanden-Sein in aktive Veränderung transformiere.

Es sei richtig, dass Versuche, „im Falschen richtig zu leben, die Gesellschaft unheimlich beeinflussen“, sagte Cohn-Bendit. „Fundamentale gesellschaftliche Veränderungen“ müssten dann aber„in Parlamenten ihre Bestätigung finden“.

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Abgeschirmt von der Gesellschaft

Er sei „überzeugter Parlamentarier, der versucht Parteien zu ändern“. Welzers Parteienkritik stimmte Cohn-Bendit dahingehend zu, dass er sagte: „Die Parteien sind derzeit abgeschirmt von den realen Veränderungen in der Gesellschaft“.

Auf die These, grade Baden-Württembergs Grüner Ministerpräsident Kretschmann reüssierte letztlich genau wie Kanzlerin Merkel durch das Versprechen, nichts zu verändern, sagte Cohn-Bendit: „In einer Gesellschaft, die so in der Krise ist, muss man Veränderungswillen unterstützen, aber gleichzeitig den Widerstand dagegen sehr Ernst nehmen. Eine Gesellschaft, die nur auf Veränderung geht, kann ein großes Risiko sein.“

Der politische Raum müsse verhindern, dass am Ende ein Teil der Gesellschaft gewinne und der andere verliere. Auch wenn er Welzers These von gesellschaftlicher und politischer Lähmung nicht widersprach, sagte er mit gesamteuropäischen Blick auf rechtspopulistische Entwicklungen, es gehe im Moment eher darum, bestimmte Gesellschaften zu „beruhigen“.

Revolutionen passieren dennoch, man müsse, wenn man etwas verändern will, sich nur umsehen und Leuten anschließen, die bereits etwas tun, was man gut findet, sagte zuvor Autor Michael Hardt am taz-Stand. Er hat zusammen mit Antonio Negri ein neues Buch geschrieben: „Demokratie! Wofür wir kämpfen“. Finanz- und Umweltkrisen haben gezeigt, so die These der Autoren: Die Welt braucht eine neue politische Ordnung. Wie wir dahin kommen war Gegenstand eines sehr angeregten Gesprächs zwischen Autor und Publikum am taz-Stand.

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11 Kommentare

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  • K
    Kinderschützer

    Ted,

    du würdest sicher deine kleinen Kinder mit dem Daniel C-B. unbeuafsichtigt spielen lassen. Oder an einer stark befahrenen Fehrverkehrsstrasse. Lüg weiter...

  • L
    Lobodo

    Also für den paranoiden Ted, ist man auch dann ein "Rechter" ein einsamer und hasserfüllter sogar, wenn man Probleme mit einem Pedo hat, solange dieser angeblich links ist.

    Ein linker darf nach Teds Auffassung anscheinend an kleinen Kindern rumspielen, solange er später "einsieht" dass es nicht richtig war.

    Er hat ja nur gespielt.

  • T
    Ted

    Wie immer werden bei diesem Politiker uralte Geschichten aufgewärmt. Wie immer von hasserfüllten und einsamen Rechten. Jagd auf einen Menschen, der vor 40 Jahren etwas Unrechtes gesagt hat und dies auch einsieht.

     

    Jeden, den es interessiert, wie es zu diesen Sätzen kam und wie er die Sache heute sieht: http://www.stern.de/politik/deutschland/cohn-bendits-kinderschaender-problem-der-persoenliche-fehler-im-zeitalter-des-webs-1984843.html

  • KM
    Kinder morgen wird's was geben

    Hat er auch aus dem Nähkästchen seiner pädagogischen Erfahrungen geplaudert?

     

    War dieser Kinderfreund eigentlich auch in der alternativen Odenwaldschule tätig?

  • J
    Jaul

    Könnte man nicht fragen.:

    Haben die Lobbyisten etwa erfolgreiche Parlamentsarbeit geleistet,in dem sie die Mehrzahl der Parlamentarier dazu gebracht haben,ihre Interessen-nämlich die Kapitalinteressen-

    Über das WOHL des Volkes zu stellen?

    DEMOSTHENES sagt :"Nichts ist leichter als Selbstbetrug,denn was ein Mensch wahr haben möchte,hält er auch für wahr".

    Vielleicht gibt es wegen dieser erfolgreichen Lobbyarbeit nur noch wenig Politikgestaltung durch das Parlament in Berlin und durch die Länderparlamente?

    Die Lebensmittelskandale in der letzten Zeit sind für mich wegen der nicht vorhandenen Kontrollen ein sehr gutes Beispiel für Korruption und Lobbyarbeit.

  • LC
    Lara Croft

    Ich halte Parteien auch nicht aus.Besonders nicht die verlogenen neoliberalen "grüne" Partei, die mit ihrer unsozialen Niedriglohn-Agenda 2010 und ihrer entrechtenden Hartz-IV-Politik sowie mit ihrer Zustimmung zu sämtlichen unsinnigen Kriegseinsätzen und Zocker-Bankenlobby-Rettungspaketen ALLE Werte verraten haben, die sie jemals hatte.

  • T
    Täuschungsmanöver

    "Die Vergangenheit holt Cohn-Bendit wieder ein: Deutschlands oberster Verfassungsrichter Voßkuhle kommt nicht zur Verleihung des Theodor-Heuss-Preises an den Politiker. Der Grund: Der Grüne habe sich "in nicht unproblematischer Weise" zur Sexualität zwischen Erwachsenen und Kindern geäußert. Ein "großer Fehler", wie dieser bereits eingestand."

    Hier weiterlesen:

    http://www.spiegel.de/politik/deutschland/vosskuhle-sagt-festrede-fuer-cohn-bendit-ab-a-888893.html

  • R
    Rabe

    Das ist wunderbar - gibt es davon auch eine komplette Aufzeichnung und diese vielleicht auch in Bälde bei Youtube?

    Wäre schön

  • K
    Kinderfreund2.0

    GRÜNEN-POLITIKER COHN-BENDIT

    Was hat er denn da für Schweinkram geschrieben?

     

    „Es ist mir mehrmals passiert, dass einige Kinder meinen Hosenlatz geöffnet und angefangen haben, mich zu streicheln“

     

    http://www.bild.de/news/2010/berlin/ehemaliger-odenwald-schueler-schrieb-buch-zur-verarbeitung-12022516.bild.html

  • L
    lowandorder

    Schade - nicht dabei gewesen zu sein.

     

    Die Fusion beider Ansätze - that's the way out.

     

    Es ist kein Geheimnis, daß Karlsruhe seine bahnbrechende Entscheidung

    zu Stellung und Bedeutung der Parteien sehr schnell als eine tiefgreifende

    Fehlentscheidung angesehen hat.

    ( ob entsprechendes für die heutigen Vossibär all stars gilt, laß ich mal offen).

     

    Unsere Politikerkaste war so dumm, in extenso sich aus der dargereichten

    Buddel zu bedienen.

    Der heute unisono beklagte Zustand der Verkrustung und des Stillstandes

    sind also systembedingt;

    heißt aber auch - da unsere Parteioligarchen ja nicht einfach nach Hause gehen -,

    die Bürger sind aufgerufen potente Gegenwelten zu bilden

    und - sich bei den Parteien/Politikern Gehör, Respekt und Einfluß zu verschaffen.

    Organisation über Netz ist eine Riesenchance;

    dadurch kann es gelingen, daß sich Bewegungen ihre Unabhägigkeit erhalten;

    sich nicht - anders als in Teilen die NGO's - über Vereinnahmung korrumpieren zu lassen, jedenfalls dieser Gefahr entgehen können.

    Die Entwicklung ala Lobbycontrol, Avaaz.org, Campackt.de und ähnlich sind die ersten Bojen auf diesem Weg.

     

    Ob die Parteien diesen Lernweg absolvieren, wird man sehen

    - notfalls müssen Mittel und Wege entwickelt werden, sie zur Reanimierung " zu tragen."

    Nur Mut.

  • R
    reblek

    "Ich halte Parteien nicht aus" - Das ist doch lediglich billige Koketterie von Cohn-Bendit, schließlich lebt er seit vielen Jahren gut von dem, was sein Haufen im beschert hat. Und dass er ab und zu mal was Kritisches sagen darf, hat nichts daran geändert, dass dieser der Gesellschaft mit nach einem verurteilten Straftäter benannten "Sozial"gesetzen den Krieg nach innen und Serbien den Krieg nach außen erklärt hat. Um nur die Spitze des gewalttägien Eisbergs zu benennen.