tatü, tata, die feuerwehr ist da! von JOACHIM SCHULZ :
Von jeher bin ich ein Meister auf dem Feld der neurotischen Spleens. Ich kann die Wohnung nicht verlassen, ohne mindestens fünf Mal nachzusehen, ob der Herd wirklich ausgeschaltet ist und das Teelicht im Stövchen bestimmt nicht mehr brennt. Und der Waschmaschinenwasserhahn? Habe ich ihn zugedreht? „Klar“, denke ich, während ich im Flugzeug Richtung Süden sitze, „ich kann mich genau erinnern.“ – „Nein“, denke ich dann, „kann ich nicht.“ Und sehe vor meinem geistigen Auge, wie Tische, Stühle, Blumentöpfe und Zahnputzbecher auf den Fluten schaukeln, die sicherlich schon eineinhalb Meter hoch in der Wohnung stehen.
Meine Mitmenschen allerdings haben für diesen Tic meist nur wenig Verständnis und tippen sich hörbar an die Stirn, wenn ich zum dritten Mal in die Küche marschiere, um das Lämpchen am Herd zu beäugen.
Der schärfste aller Mackenkritiker war Walter, mit dem ich in den frühen Achtzigerjahren in Hamburg zusammenwohnte. „Himmeldonnerwetter, jetzt komm endlich!“, polterte er, wenn er in der Wohnungstür stand und auf mich wartete. Ich hatte jedoch meinen Sicherheitscheck noch nicht beendet. „Sofort! Will nur noch schnell …“, sagte ich, doch er rief: „Nichts da, der Herd ist aus, du hast es bereits kontrolliert!“ – „Aber die Waschmaschine!“, rief ich. Er schnaufte nur: „Quatsch!“, packte mich am Arm und schob mich aus der Wohnung.
Dabei hatten wir es nicht eilig, da wir nur zum Abendessen gehen wollten, weshalb es auf fünf Minuten nicht ankam. Doch Walter hielt seine Kompromisslosigkeit für eine gute Therapie. „Härte heilt!“, sagte er und kümmerte sich nicht im Geringsten darum, dass ich während des Essens an Blumentöpfe und Zahnputzbecher dachte, die auf den Fluten in unserer Wohnung schaukelten.
Eines Sonntagnachmittags jedoch machten wir einen Spaziergang im nahen Park. Plötzlich drehte Walter sich um. „Hm“, machte er. „Was ist?“, sagte ich. „Ich frage mich, ob ich die Kerzen ausgepustet habe.“ – „Was?“, rief ich, „du hast mir doch verboten, noch einmal nachzukucken!“ – „Ja“, sagte er, „ich weiß …“ Er schaute über die Schulter, und auch ich sah mich um: Eine Rauchsäule stieg zum Himmel; ziemlich genau dort, wo sich das Haus befinden musste, in dem wir wohnten. „Grundgütiger!“, japste ich. Walter war blass. Wir rannten los.
Als wir die Hauptstraße hinaufeilten, brauste die Feuerwehr mit heulenden Sirenen vorbei. Der brenzlige Geruch verstärkte sich mit jedem Schritt, von weitem schon sahen wir Blaulichter und hektische Feuerwehrleute, doch als ich gerade in Ohnmacht fallen wollte, erblickten wir die zerschmolzenen Mülltonnen, die vor dem Nachbarhaus dampften.
„O, Mann!“, schnaufte ich, während wir in unsere Wohnung taumelten. Die Kerzen waren selbstverständlich aus. „Na, bitte!“, knurrte Walter: „Ich wusste doch, dass ich sie ausgeblasen habe!“ Dann funkelte er mich böse an. „Gefällt es dir“, fauchte er, „dass ich allmählich genauso meschugge werde wie du?!“ Doch diesen Vorwurf nahm ich gern auf mich. Fortan für immer in einem Mehrbettzimmer in der Jugendherberge leben zu müssen, hätte ich jedenfalls weitaus schlimmer gefunden.