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Archiv-Artikel

symphonie der großstadt von RALF SOTSCHECK

Freitag, 18 Uhr: Pünktlich geht eine Alarmanlage in der Industriesiedlung hinter dem Haus los. Sie rasselt bis Montag früh um neun, wenn die Angestellten zur Arbeit kommen – gelegentlich unterbrochen von dreiminütigen Pausen, so dass man sich an das Geräusch nicht gewöhnen kann. Gegen Mitternacht kommt eine zweite Alarmanlage hinzu, die aber nicht rasselt, sondern heult. Ich und sämtliche Hunde im Umkreis von einem Kilometer heulen auch, als gegen zwei in der Nachbarschaft ein Autoalarm hupt.

Es ist gar nicht so lange her, dass die Iren ihre Haustüren nicht abschlossen, weil es ohnehin nichts zu stehlen gab. Seit dem Wirtschaftsboom, der vor rund 15 Jahren einsetzte, ist auch die Kriminalitätsrate sprunghaft gestiegen – und mit ihr die Zahl der Alarmanlagen. Bei einem Nachbarn, der am Ende des Viertels neben einem Fußweg zur Industriesiedlung wohnt, wurde binnen zwei Jahren 21-mal eingebrochen.

Wenn der Mann in den Urlaub fuhr, legte er einen Geldschein auf den Tisch, daneben einen Zettel, auf dem er darum bat, keine unnötige Verwüstung anzurichten, sondern freundlicherweise die Blumen zu gießen. Als er einmal aus Rom zurückkam und feststellen musste, dass der Einbrecher, der im Bett übernachtet hatte, offenbar inkontinent war, platzte ihm der Kragen. Er errichtete hohe Mauern an beiden Enden des Fußwegs zur Industriesiedlung. Seitdem hat er Ruhe.

Ich denke auch an Selbsthilfe, rufe jedoch erst mal bei der Polizei an. Die ist bereits über den gellenden Alarm informiert, erklärt mir jedoch, dass ich mir keine Sorgen machen müsse: Es sei falscher Alarm. Von meinem Bett aus höre sich der Alarm durchaus echt an, wende ich ein und bitte den Beamten, die Anlagen außer Gefecht zu setzen. Das ginge nicht, sagt der Polizist, dann wäre man ja rund um die Uhr beschäftigt. Wir hatten nach dem zwölften Einbruch bei dem bereits erwähnten Nachbarn auch eine Alarmanlage angeschafft, obwohl sie bei ihm offensichtlich nichts ausgerichtet hatte. Einmal, als wir verreist waren, ging die Sirene los, so dass die Polizei anrückte. Die Nachbarn hatten den Schlüssel und ließen die Beamten ins Haus. Sie durchsuchten alle Räume, konnten jedoch nirgendwo Spuren eines Einbruchs entdecken. Nur mein Büro war abgeschlossen – aus gutem Grund.

Um auf Nummer Sicher zu gehen, forderte der Einsatzleiter vom Revier eine Leiter an, weil er mein Büro durch das Fenster im ersten Stock inspizieren wollte. Was dann geschah, ist längst im ganzen Viertel bekannt. „Der Polizist spähte in dein Büro“, erzählte die Nachbarin später, „und brach in helle Aufregung aus. Er schrie, die Einbrecher hätten alles verwüstet und sämtliche Papiere auf dem Boden verstreut. Ich wandte ein, dass du nicht sehr ordentlich seiest. Daraufhin musste ich auf die Leiter, um zu bestätigen, dass das der Normalzustand deines Büros sei. Der Polizist lud dann die gesamte Nachbarschaft ein, auf die Polizeileiter zu klettern und einen Blick durch das Fenster zu werfen. Ich fürchte, dein Ruf ist ruiniert. Und die Deutschen gelten in unserem Viertel nicht mehr als fleißig und ordentlich.“

Ich habe die Alarmanlage seitdem nicht mehr eingeschaltet.