strafplanet erde: globales trinken von DIETRICH ZUR NEDDEN :
Wie ein ordinärer Werkeltag in einem Kleinbetrieb, der sich mit dem Verfassen von Texten über Wasser hält, den lichten Moment einer eventuell provisorischen Erkenntnis bergen und daraufhin grell aufflackern kann … da staunt der Laie. Ist ja klar, sonst wär er ja kein Laie.
So kann das Unfassbare Ereignis werden: Man blättert durch das Notizbuch, bleibt bei G hängen, stößt auf das Nullwort Globalisierung, das sofort ein mittelschweres Gähnen hervorruft: Abgelehnt, Verwendung verboten auf unabsehbare Zeit. Man setzt das Daumenkino fort und landet bei B wie Barile. Barile? Nie gehört.
Plötzlich glüht im trüb-müden Auge ein Funkeln auf, entfacht neues Leben, denn es findet sich, dass Barile vom italienischen barilo stammt – Fass, Fässchen – und der Name eines alten Flüssigkeitsmaßes ist, „besonders für Wein und Öl, von unterschiedlicher Größe“. Das kann man wohl sagen: Ein florentinisches Barile brachte es auf 41,656 Liter, das argentinische immerhin auf 76 Liter, in Lissabon musste man 301,32 Liter eingießen, um von einem Barile sprechen zu können. Entsetzliche Missverständnisse müssen an der Tagesordnung gewesen sein. Wenn ein Venezianer nach Montevideo in Uruguay reiste und in der Bodega ein Barile Wein bestellte, schenkte der Wirt 75,904 Liter ein, der Gast aus Europa hatte aber nur mit 64,38 Litern gerechnet. Da hatte er wahrlich ein Menge mehr zu trinken.
Wenn man dies unvermeidliche Tohuwabohu bedenkt, zeitigt der Umstand, dass sich der überwiegende Teil der Menschheit auf den Liter als Maßeinheit geeinigt und den Urliter irgendwo eingekellert hat, um im Zweifelsfall nachzumessen, eine gewisse Sicherheit und weltumspannende Zuverlässigkeit.
Und nun blättert man so gezielt wie möglich zurück zu G. Ein global einigermaßen störungsfrei funktionierender Austausch setzt Vereinheitlichung und Standardisierung voraus. Das macht das Leben eher langweilig, aber die Versorgung zum Beispiel mit Grundnahrungsmitteln wie Wein auch erheblich unkomplizierter.
Mich mitten in einem komplizierten Denkprozess wähnend, dessen Ergebnis den Diskurs von Kritikern und Apologeten der Globalisierung entscheidend beeinflussen würde, schenkte ich mir noch einmal nach, zumal der Themenkomplex, wie ich beim Blick auf die benachbarten Einträge bemerkte, sich um den Barrel und das Barril erweiterte. Das sah nach Arbeit aus, zumal mir außerdem einfiel, dass der Liter bestimmt nicht von Konsumentenseite gefordert worden war, nicht von einem Römer (58,34 Liter), der in Buenos Aires im Knast saß, weil er seine Rechnung nicht bezahlen konnte, sondern mutmaßlich der Gesamtkapitalist in Gestalt des expandierenden Weinhandels darauf gedrungen hatte: Stichwort Profitmaximierung.
Man müsste also das Für und Wider abwägen, unbedingt noch eine soziale Komponente sowie die babylonische Sprachverwirrung einbeziehen und das Ganze dann vom Klippschulniveau auf kulturphänomenologisches Debattenformat hochjazzen.
Genug, dachte ich, goss den Rest der zweiten Flasche ins Pint-Glas und klappte die Bücher meines Kleinbetriebs zu. Wieder keinen Cent verdient heute.