strafplanet erde: after-show-party und nationalcharakter von DIETRICH ZUR NEDDEN :
Wer Freunde ohne Fehler sucht, wird keine finden, habe ich mir mal in einer Phase der Fundamentalkritik von meiner Frau sagen lassen müssen, die kurz darauf die Scheidung einreichte. Seitdem bin ich allein aus Eigennutz erheblich nachsichtiger. Meine Duldung jeder Albernheit stellte kürzlich allerdings Freund P. (Initial von mir geändert) auf die Probe, und um an der „Woche der Krankheit“ mitzuverdienen, erzähle ich davon.
Meiner Meinung nach trugen mindestens drei dubiose Faktoren zu seinem Entschluss bei, sich einer Darmspiegelung zu unterziehen. Erstens soll, wie Ethnologen erforscht haben, die Psyche der Deutschen, der „deutsche Nationalcharakter“ gewissermaßen, anal fixiert sein (vgl. dazu Alan Dundes, „Life is like a Chicken Coop Ladder, A Portrait of German Culture through Folklore“, Columbia University Press). Eine These, die gestützt wird von dem sich zur Zeit rasch ausbreitenden Phänomen der After-Show-Party.
Den Veranstaltern einer Show genügt es nicht mehr, eine Show zu veranstalten, nein, sie verteilen Bändchen an ausgesuchte A-B-C-Prominente und bitten zur After-Show-Party.
Zweitens ist P. ein schrankenloser Bewunderer des Performance-Künstlers Harald Schmidt, verzeiht ihm nicht nur die eine oder andere schwächere Vorstellung, sondern folgt seinen Ansichten und Meinungen, ohne dabei in Betracht zu ziehen, dass es sich bei Schmidts Äußerungen um Rollenprosa handeln könnte, um ein uneigentliches Sprechen, um einen Teil der Performance, wenn er den Zuschauern zum Beispiel eine regelmäßige Darmspiegelung beim Gastroenterologen empfiehlt.
Außerdem ist P. der Typ, der andauernd Krankheitssymptomen auf der Spur ist, und wenn sich keine bemerkbar machen, den Termin für eine Vorsorgeuntersuchung vereinbart. Viertens halte ich es für möglich, dass … nein, so indiskret will ich nicht sein. Sondern auf das Ereignis selbst zu sprechen kommen, das heißt, auf den Tag davor. Denn vor die Wonnen einer Darmspiegelung hat ein ungerechter Gott die Darmspülung gesetzt.
„Bleiben Sie während der gesamten Darmspülung in der Nähe einer Toilette“, habe in der Packungsbeilage gestanden, sagte P., und das sei wirklich nicht einer dieser Hinweise auf Packungsbeilagen, die man getrost ignorieren könne. Am folgenden Tage dann habe er die Prozedur am Monitor verfolgt und dadurch einen ganz anderen Blick, einen ganz neuen Zugang zu seinem Innenleben kennen gelernt. Den Film „Alien“ habe er bis heute nicht gesehen, aber so irgendwie stelle er sich den vor. Und zugleich habe er das Ende des Weges beobachtet, den die Speisen zurücklegen würden, die er sich im Anschluss sofort hineinwuchten wollte. Da er zwangsweise 24 Stunden ohne Nahrungsaufnahme hinter sich gehabt habe, sei er also direkt von der Praxis des Gastroenterologen, der übrigens nichts Verdächtiges gefunden habe, in ein Fischrestaurant namens Seerose gefahren und habe ein paniertes Goldbarschfilet mit Kartoffelsalat sowie ein Weizenbier bestellt und alles restlos verzehrt. Und es blieb vorerst drin.
Glücklich, wer Freunde hat, denen es gelingt, nach einer After Show so eine Party zu feiern.