steinkohlekraftwerk : Angst vor dem Stromriesen
Na bitte. Endlich ist der Senat aufgewacht. Oder zumindest macht sich bei der Landesregierung, die sich bislang in klimaschutzpolitischem Tiefschlaf befand, ein leichtes Zucken bemerkbar. Da diskutiert Deutschland seit Monaten über Kohlendioxidemissionen, da macht die Opposition seit Wochen Front gegen den Stromriesen Vattenfall und seine Idee, ein Steinkohlekraftwerk in Lichtenberg zu bauen. Und plötzlich dämmert es Umweltsenatorin Katrin Lompscher, dass man die riesige CO2-Schleuder mit einer „gesellschaftlich-politischen Debatte“ vielleicht verhindern könne. Herzlichen Glückwunsch!
KOMMENTAR VON ULRICH SCHULTE
Lompscher, die beim Fahrverbot für Dieselstinker mutig zu Werke geht, fährt beim Steinkohlekraftwerk einen windelweichen Kurs – wie der gesamte rot-rote Senat. Dabei ist den Fachpolitikern längst parteiübergreifend klar, dass es in Zeiten des beängstigend spürbaren Klimawandels nicht vermittelbar ist, warum Vattenfall auf die Technologie setzen will, die am meisten Treibhausgas in die Luft bläst – Kraft-Wärme-Kopplung hin, hoher Wirkungsgrad her. Dennoch war kein kritisches Wort von führenden SPD- und Linkspartei-Politikern zu hören. Auch Klaus Wowereit schweigt. Zu groß ist die Angst, den Stromplatzhirsch zu verprellen. Zu verbreitet die Vorstellung, nur eine dicke Einmalinvestition garantiere Jobs.
Zugegeben: Der Senat hat kaum Möglichkeiten, auf Vattenfall Einfluss zu nehmen. Aber auch die Konzernmanager verfolgen die Debatte genau. Und wenn der durch den anachronistischen Neubau entstehende Imageschaden schwerer wiegt als der Profit, werden sie Alternativen erwägen: z.B. neue Energien oder ein Erdgaskraftwerk mit weit besserer CO2-Bilanz. Die Politik hat also im Moment eine einzigartige Chance: Sie kann einen Konzern zum Wohle der Stadt in die Schranken verweisen – allein durchs Drüberreden.