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stefan kuzmany über AlltagDer Fuchsschwanz im Hundesalon

Berlin bezieht sein Hauptstadtflair vor allem daraus, dass es noch provinzieller ist als die Provinz selbst

Nicht vergessen: Morgen beim Hundefriseur vorbeigehen, um den Fuchsschwanz von Klaus abzuholen.

Hey Hey Hey, verrückte Hauptstadt! Bzw. Hooptstadt! Solche Sachen, anderswo total verrückt, sind hier gar nicht so ausgefallen: in Hundesalons gehen, um Fuchsschwänze abzuholen, total unkompliziert und alle per du!

Provinzromane hätten jene aus der Hauptstadt abgelöst? So ein Quatsch. Hier in Berlin hat das brodelnde Leben gefälligst daheim zu sein. Sonst könnte man ja gleich wieder zurück nach Fürstenfeldbruck ziehen.

Andererseits: Seit jetzt ständig ein Wagen mit einem Kennzeichen aus FFB mitten in Kreuzberg gegenüber meiner Haustür parkt, ein VW Passat, noch dazu ausgerechnet in derselben Farbe, wie sie auch der meines Nachbarn in der Provinz früher hatte, ist mir sowieso alles eins. Bayern, Berlin, egal.

Berlin bezieht sein Hauptstadtflair genau genommen vor allem daraus, dass es sogar noch provinzieller ist als die Provinz selbst, dachte ich tags darauf auf dem Weg zum Hundesalon. Ein sonderbarer Ort, den ich wahrscheinlich niemals betreten hätte, würde dort nicht der Fuchsschwanz auf mich warten. Seine Schaufensterauslage war mir vom Vorbeigehen natürlich längst geläufig. Zwei Plastiken aus Keramik waren ausgestellt, ein schwarzer und ein weißer Pudel, dazu Kamm und Schere und ein rotes Schleifchen.

Den Fuchsschwanz benötigte ich zur Zerkleinerung einiger Regalbretter. Ich hatte bereits die Bohrmaschine von Klaus und seiner freundlichen Freundin, deren Namen mir einfach nicht im Gedächtnis bleiben wollte. Mechthild? Bettina? Verdammt, ganz schön peinlich. Die Regalbretter waren ebenfalls von den beiden. Leider hatte ich feststellen müssen, dass die Bretter für die Wand hinter der Wohnzimmertür, wo sie hingehörten, etwas zu lang waren. Da Klaus mitsamt freundlicher Freundin verreisen wollte, hatten die beiden den Fuchsschwanz in dem Hundesalon deponiert, der sich unter ihrer Wohnung befand.

Der Hundesalon war geöffnet. Beim Eintreten bimmelte ein Glöckchen. Im Hinterzimmer jaulte ein Hund. So also sah ein solches Etablissement von innen aus: eine hölzerne Theke, am Boden Laminat mit falschem Holzfurnier darauf, eine uralte Registrierkasse auf dem Tresen. Wahrscheinlich war die Einrichtung seit 1950 nicht mehr verändert worden. Eine ältere Frau in einem blauen Kittel erschien.

„Grüß Gott. Ham S’ scho an Termin?“

Sie sprach breites Bayerisch, was mich etwas irritierte.

„Nein, ich soll hier einen Fuchsschwanz abholen.“

„So, so, der Fuchsschwanz. Hätten S’ den nicht scho gestern abholen sollen?“

„Ja, aber da hatten Sie geschlossen.“

„Sie wollen jetzt also den Fuchsschwanz von der Frau … der Frau … wie war gleich der Name?“

Verdammt, ich wusste es doch, dass mich die Sache mit dem Namen noch mal einholen würde.

„Sie werden lachen, ich vergesse den Namen auch immer.“

„Sauber! Sie wolln sich an Fuchsschwanz ausleihen und wissen nicht einmal, von wem! Sauber!“

Das gehörte sich offenbar überhaupt nicht. Die süddeutsche Hundefriseuse wollte sich nicht mehr beruhigen.

„Sauber! Woher soll ich denn wissen, dass Sie überhaupt derjenige sind, der den Fuchsschwanz bekommen soll?“

„Aber …“

„Sauber! Erst zu spät kommen und dann nicht einmal den Namen wissen. Sauber!“

„Aber …“

„Wissen S’ was? Sie gehn jetzt wieder.“

Was blieb mir anderes übrig.

Berlin ist noch provinzieller als die Provinz, dachte ich mir wieder, als ich ohne Fuchsschwanz den Hundesalon verließ. Nur das mit dem Hauptstadtflair dachte ich nicht mehr. Ich kehrte in eine Szenekneipe um die Ecke ein, um das weitere Vorgehen in Sachen Fuchsschwanz und Regalbretter bei einem Bier zu überdenken. Modische Menschen mit hippen Frisuren blätterten in ebensolchen Zeitschriften. Ah! Langsam kehrte das Hauptstadtgefühl zurück. Ich bestellte ein Hefeweizen. „Guad“, sagte der Kellner. „Ein Weißbier. Sag amal … kennen wir uns nicht aus Bruck?“

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