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Archiv-Artikel

spielplätze (13): im kaffee burger Steilvorlagen im Schummerlicht

Alle gucken wieder Fußball. Die taz auch. Bis zum Ende der EM berichten wir täglich live von den Berliner Spielplätzen. Heute: Holland – Russland im Kaffee Burger.

Es ist noch ziemlich hell draußen. Eine halbe Stunde vor Anpfiff läuft ein junger Mann im roten CCCP-Trikot der alten Sowjet-Mannschaft über die Schönhauser Allee. An deren Ende, im Kaffee Burger, lässt nur ein einziges Fenster einige Abendsonnenstrahlen durch die Gardinen mit den graubraunen Blumenmustern dringen. Aber auf der riesigen Leinwand, die das Stadion in Basel zeigt, ist bestes Wetter. Zwei Männer, einer mit Knuddelzopf, der andere mit kurzen Haaren, sitzen an einem runden Tisch, trinken Bionade und rauchen, als gelte es, bevor die Niederländer gegen die Russen antreten, noch schnell die eigene Lunge zu besiegen.

Das Kaffee Burger ist, im Ganzen betrachtet, ein neutraler Ort, um dieses Spiel anzuschauen. Zwar veranstaltet Wladimir Kaminer hier regelmäßig seine Russendisko, aber an diesem Samstagabend sieht es mit seinem schummrigen roten Licht eher aus wie ein Amsterdamer Club nach Strip-Schluss. Auf der Leinwand vor der braun gemusterten Tapete sagt jemand, dass die Niederländer 5:0 gewinnen werden. Die beiden Männer lachen und blasen Rauchschwaden zur matt glänzenden Diskokugel.

Während das Spiel langsam vor sich hin zu plätschern beginnt, trudeln genauso gemächlich noch einige andere Zuschauer ein und setzen sich ins Halbdunkel an die runden Tische. Es zeigt sich schon während der ersten Rettungsflüge des holländischen Keepers, dass es gar keine Public-Viewing-Massen braucht, um EM-Stimmung aufkommen zu lassen. Und auch nicht unbedingt Rest-Tageslicht. Ein dämmrig grüner Scheinwerfer genügt. Man oooohhht und aaaahhht im kleinen Kreis vor sich hin – mit gelegentlichem Haareraufen und kleinen Hüpfern auf dem Stuhl. Und nachdem der russische Verteidiger Kolodin gleich dreimal hintereinander aufs gegnerische Tor gehämmert hat, schreit einer zusammenfassend: „Haubitze“.

Die Holländer allerdings arbeiten mit ihrem Hasch-trägen Stil sehr konsequent gegen die Stimmung an. Die Touristenjungs in den kurzen Hosen unterhalten sich deshalb lieber laut auf Englisch und leeren zügig eine Runde Bier nach der anderen. Die beiden Raucher aus der Startaufstellung lachen immer wieder ausdauernd. Ganz hinten an der Wand macht sich ein etwas sehr fein gekleidetes Paar, er weißer Anzug, sie Kleid, über den ZDF-Kommentator lustig.

Zwischendurch gelingt es der TV-Anlage immer wieder, ein bisschen Geschwindigkeit aus dem ohnehin nicht gerade mit Tempo gesegneten Spiel zu nehmen. Dann zischt es kurz metallisch – anschließend ist die Leinwand für einen Moment schwarz und zeigt nur seltsame rote Pocken. Manchmal wirkt es, als reagiere der Empfänger mit seinen Aussetzern auf Aktionen im Stadion. Auf ein Foul folgt sofort ein kurzes Ruckeln. Wie ein televisionärer Tadel. Als das Tor für Russland fällt, spaltet sich der Raum mit einem Schlag in zwei Hälften. Die eine Seite jubelt und springt auf, die andere schweigt. Vielleicht auch andächtig.

Mit etwa 70 Minuten Verspätung betritt dann im beigen Janker, mit kurzrasierten Haaren der Assistent des ZDF-Kommentators den Raum, der fortan mit leichtem Ballack-Akzent die nötigen Zusatz-Einschätzungen liefert. „Wollt ihr ihn reintragen oder was“, fragt er die jungen Russen. „Der will’s immer allein machen, wa“, rügt er einen jungen Angreifer. Und erkennt sofort nach dem Ausgleich der Niederländer: „So ist das, das rächt sich dann, wenn sie nicht das 2:0 machen.“ Mit diesem Befund trifft er, der Phrasen drischt wie zuvor Kolodin den Ball, nicht ganz ins Dreieck. Nach gut 120 Minuten haben die verhaltenen „Dawai“-Rufe recht erhebliche Wirkung gezeigt. Der „Datschadance“ mit „Auflegewitsch Rajewsky“ startet. Es wird ein Freudentanzabend. JOHANNES GERNERT

Kaffee Burger, Torstraße 58–60, alle Spiele live