spielplätze (12) : Samtweiche Luft
Alle gucken Fußball. Wir auch. Bis zum Ende der WM berichten wir täglich live von den Berliner Spielplätzen. Heute: Japan – Brasilien am Kreuzberger Spreewaldplatz.
Der Abend ist eher frisch. Ein leichter Wind weht über die Wiener Straße, aber die meisten Menschen, die vorüberlaufen oder an den Tischen vor Restaurants und Cafés sitzen, scheinen davon unbeeindruckt. Vor fast allen Lokalen laufen Fernseher, sodass man von Bildschirm zu Bildschirm flanieren kann, ohne viel zu verpassen. Immer wieder bleibt jemand stehen, um ein paar Minuten zuzuschauen. Mancher verweilt auch länger, gefesselt von den kämpferischen Japanern, die Brasilien ein Tor abtrotzen, oder von den wunderbaren Pässen der Brasilianer, die am Ende doch klar gewinnen.
Auf dem Bürgersteig vor der „Piccola Musica“, einer kleinen Pizzeria, sitzen und stehen an die zwanzig Menschen. Zwei Männer und eine Frau wägen auf Englisch Japans Siegchancen ab. Ein Japaner steht am Rande, hinter den Arabern, die ihren Tee schlürfen. Niemand verfolgt das Spiel mit der Ernsthaftigkeit des Experten, man bleibt gelassen.
Kurz nach Spielbeginn steigt eine Frau vom Fahrrad und will wissen, wie es im Spiel Kroatien gegen Australien steht. „Eins zu null“ antwortet ein junger Mann, ohne sich zu rühren. Sie fährt wortlos weiter. Ein rothaariger Mann holt sich von den Tischen einen Stuhl. Auf die Frage, ob er etwas bestellen möchte, antwortet er mit einem „Nein danke, ich hab mein Bier.“ Der Kellner lächelt und kehrt zu seinem Platz zurück, ganz nah am Fernseher.
Als die Japaner ihr Tor schießen, freuen sich vor der „Piccola Musica“ fast alle. Solidarität liegt in der Luft mit den Asiaten, die da gegen einen Giganten anspielen. Nur ein kolumbianisches Grüppchen ist entsetzt – bis das erste brasilianische Tor fällt. Die Südamerikaner beschließen, den weiteren Spielverlauf in der „Morena Bar“ an der Ecke zum Spreewaldplatz zu verfolgen. Für T-Shirts und kurze Hosen ist es jetzt im Freien schon fast zu kühl.
Vor der „Morena Bar“ wärmen Heizpilze die Besucher, die sich um drei Bildschirme scharen. Auch drinnen, wo das Spiel auf eine große Leinwand projiziert wird, ist es voll, aber hier sieht nicht man den wunderschönen Abendhimmel. Die meisten Gäste sind für Brasilien. Darauf lässt jedenfalls der Jubel nach dem zweiten brasilianischen Tor schließen. Einige schauen das Spiel mehr nebenbei, während sie über Hausarbeiten, Reisen oder Beziehungen sprechen.
Eine junge Frau im tschechischen Trikot verlässt nach dem dritten Tor für Brasilien das Lokal. Durch die geöffneten Fenster hört man sie „Česká republika!“ rufen. Sie schwenkt die kroatische Flagge, während sie Richtung U-Bahnhof verschwindet.
Nach dem Abpfiff ist die Luft im Freien samtweich. Im „Kaffee Marx“ hören ein paar Leute den Kommentaren von Kerner und Co. zu, andere bestellen nebenan beim Marokkaner etwas zu essen. Langsam driftet die Aufmerksamkeit weg von den Bildschirmen, hin zu den Tischnachbarn. Der Kreuzberger Abend kann weitergehen. BLAS URIOSTE