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Archiv-Artikel

sozialkunde Auch Gewalt ist Kommunikation – entscheidend ist die Antwort, die die Gesellschaft findet

Nicht nur wegen ihrer Opfer, sondern auch weil sie Täter und Zuschauer definiert, ist nach der Gewalt nichts so wie vorher

Was haben 9/11, der Krieg gegen die Taliban, der Krieg im Irak, die Folter in Abu Ghraib, die arabische Miliz im Sudan und die Misshandlungen von Bundeswehrsoldaten durch Ausbilder gemeinsam? Richtig, zunächst einmal gar nichts. Wir haben es gelernt, die Dinge auseinander zu halten und keine voreiligen Analogieschlüsse zu ziehen. Und dennoch gibt es eine Gemeinsamkeit, und sie führt ins Zentrum eines blinden Flecks der Gesellschaft, den wir ausleuchten müssen, wenn wir die Möglichkeit haben wollen, mit Gewalt nicht nur erschrocken, sondern auch intelligent umzugehen.

Die Gemeinsamkeit besteht darin, dass der Gewalt ein Moment der Inszenierung innewohnt. 9/11 inszenierte den Auftritt des Terrornetzwerks al-Qaida, der Krieg gegen die Taliban die Antwort der USA auf 9/11, der Krieg im Irak den Anspruch der USA auf die Gestaltung einer Weltordnung, die arabische Miliz im Sudan ihre Auffassung vom Verhältnis der arabischen Regierung zu den schwarzafrikanischen Rebellen, und der Sadismus der Bundeswehrausbilder deren Glauben daran, die Soldaten auf die Wirklichkeit ihrer Einsätze vorbereiten zu müssen.

Fast jede dieser Inszenierungen legt Zeugnis von einer tiefen Irritation ab, von der Ohnmacht des Islam angesichts einer bestimmten Version der Globalisierung, vom Erschrecken der USA, dass ihr guter Wille so gar nicht honoriert wird, von einem Geschichtsverständnis der Araber, die sich für Schwarzafrikaner kaum eine andere Rolle als die der Sklaven vorstellen können, von der Unfähigkeit der Ausbilder, ihre neuen Eindrücke im Feld mit dem Auftrag der Bundeswehr zusammenzudenken.

Die Inszenierung der Gewalt ändert nichts daran, dass sie real ist, brutal, schrecklich und blutig. Im Gegenteil, die Gewalt könnte nicht inszeniert werden, wenn sie nicht zugleich auch real wäre. Aber dennoch und gerade deswegen ist es für das Verständnis der Gewalt entscheidend, sich dieses Moment der Inszenierung genau anzuschauen. Denn in diesem Moment hält die Gewalt eine Kommunikation aufrecht, die sie in ihrer eigenen Ausübung auf eine denkbar eindeutige Art und Weise zugleich unterbricht.

Al-Qaida hat ihre Beziehungen zur Form der US-amerikanischen Globalisierung so kompromisslos abgebrochen wie die USA ihre Suche nach politischen Lösungen des Afghanistan- oder des Irakproblems. Die Regierung in Darfur will die Schwarzafrikaner loswerden, nicht mit ihnen verhandeln. Die Ausbilder der Bundeswehr glaubten möglicherweise, sie könnten sich die Diskussion mit den Soldaten über Sinn und Unsinn ihrer Out-of-area-Einsätze ersparen, wenn die Phänomene, mit denen man es dabei zu tun bekommt, Geiselnahme und Folter, nur hinreichend prägnant, selbsterklärend, dargestellt werden.

Mit all dem wird jedoch der Abbruch von Kommunikation seinerseits kommuniziert. Das ist nicht zu vermeiden, denn auch der Abbruch ist ein Verhalten, das eine Mitteilung über eine Beziehung enthält, auch wenn es sich in diesem Fall um eine nicht gewünschte Beziehung handelt. Denn dass sie nicht gewünscht wird, ist zu ihrem pathogenen Unglück selbst ein Teil der Beziehung. Selbst im Falle der Ermordung des Gegenübers definiert man damit eine Beziehung, die Dritte auch unter dem Gesichtspunkt beeindruckt, dass der Mörder nach wie vor in ihr steht.

Auch die Gewalt ist eine Kommunikation. Sie wird ausgeübt, sie betrifft jemanden, und sie hat Zuschauer, nahe und ferne. Sie betrifft im Übrigen nicht nur den, der ihr unterworfen ist, sondern auch den, der sie ausübt, weil er nicht darum herumkommt, anschließend als jemand dazustehen, der gewalttätig ist. Nicht nur wegen ihrer physischen Opfer, sondern auch deswegen, weil sie Täter und Zuschauer definiert, ist nach der Ausübung von Gewalt nichts mehr so, wie es vorher war.

Die Inszenierung der Gewalt dokumentiert, dass die Gewalt nicht außerhalb, sondern innerhalb der Gesellschaft stattfindet. Sie ist eine Form der Auseinandersetzung mit der Gesellschaft, und zwar an dem Punkt, an dem diese Auseinandersetzung am schmerzhaftesten ist, nämlich dort, wo die Fortsetzung der Kommunikation selber auf dem Spiel steht. Die Inszenierung kann es jedoch nicht vermeiden, ihrerseits um eine Fortsetzung der Kommunikation zu werben. Deswegen, und nur deswegen, ist es entscheidend, welche Antwort die Gesellschaft, also wir alle, auf die Gewalt, jede einzelne Gewalt, finden. Sie muss neben dem Schrecken der Gewalt auch eine mögliche Zukunft der Gesellschaft markieren. DIRK BAECKER

Der Autor, Soziologe in Witten/Herdecke, schreibt an dieser Stelle regelmäßig über soziologische Themen – immer am dritten Dienstag eines Monats