slán go fóill, anne von RALF SOTSCHECK :
Technisch begabt war sie nicht. Als Anne O’Leary noch bei der Freien Rechtsberatung in Dublin arbeitete, kaufte sie einen Heizlüfter, denn Anne war dünn und fror leicht. Das Gerät, ein klobiger Kasten, arbeitete mehr schlecht als recht, machte jede Menge Krach und stank erbärmlich. Zwei Jahre lang sah Anne sich das an, dann rief sie den Reparaturdienst. Der Hausbesuch kostete fast so viel, wie sie für den Heizlüfter ausgegeben hatte, aber der Winter stand vor der Tür, und im Büro waren die Fenster undicht. Der Mechaniker warf einen Blick auf den Kasten und sagte: „Das Gerät steht auf dem Kopf. Das arme Ding muss die Wärme pausenlos nach unten pumpen.“ Dann sei aber das Schild falsch herum angebracht, meinte Anne und deutete auf den Firmennamen: XOWIH. „Die Firma heißt HIMOX“, sagte der Mechaniker, kassierte sein Geld und verschwand.
Anne hatte einen ausgeprägten Sinn für Humor und trieb gerne ihren Schabernack mit Leuten. Einmal haben wir sie aber auch hereingelegt. Vor 25 Jahren, damals war sie 26, hatte Anne ihren Urlaub mit einer Freundin in Prag verbracht. Eines Abends, als die beiden ziemlich betrunken waren, zogen sie ihre T-Shirts aus und fotografierten sich barbusig. Wieder nüchtern, verbrannte Anne die Fotos. 20 Jahre später fand ihr Mann John aber die Negative auf dem Dachboden und ließ neue Abzüge machen. Dann bastelten wir eine schöne Stasiakte mit vielen offiziell aussehenden Stempeln. Das Ganze ließen wir vom Berliner Korrespondenten einer irischen Tageszeitung, der Anne kannte, mit einem Begleitbrief an sie nach Dublin schicken. Ihr Gesichtsausdruck, als sie den Brief öffnete, war schon alleine die Aktion wert. Bald nach ihrer Pragreise versagten Annes Nieren. Sie hasste die tägliche Dialyse. Einige Monate später fand sich jedoch eine Spenderniere, und die erwies sich als nahezu unverwüstlich. Die Mahnungen der Ärzte, das Ersatzteil pfleglich zu behandeln, stießen auf taube Ohren. Anne traktierte die Niere täglich mit keineswegs homöopathischen Mengen Alkohol. Dann setzte sie die Tabletten ab, die verhindern sollten, dass der Körper das neue Organ abstieß.
Vermutlich war der Körper aber zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt, als sich um die Niere zu kümmern. Anne war bei allen politischen Kampagnen der Achtziger- und Neunzigerjahre dabei, ob es ums Recht auf Abtreibung oder Scheidung ging oder um die Freilassung der Birmingham Six und Guildford Four. Abends bekochte Anne ihre Mitstreiter meist. Die Niere versah klaglos ihren Dienst – 24 Jahre lang. So lange hält nur ein Prozent aller transplantierten Nieren durch. Vor neun Tagen hat sie schließlich doch aufgegeben. Das Ende kam sehr schnell. Vergangenen Dienstag haben wir Anne beerdigt. Einen Priester durften wir nicht in Rufweite des Sarges lassen, das hatte Anne angeordnet. So wurde es die ungewöhnlichste Totenfeier, die in der Krematoriumshalle jemals stattgefunden hat. Es war wie auf einer Gewerkschaftssitzung – mit Anträgen zur Geschäftsordnung, Zwischenrufen und einer Abstimmung. Der Antrag, Anne zu einer wundervollen Freundin, begnadeten Köchin und hartnäckigen Aktivistin zu erklären, wurde einstimmig angenommen. Slán go fóill, Anne.