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showdown in rathenow von WIGLAF DROSTE

Das brandenburgisch-havelländische Städtchen Rathenow, eine Art architektonischer Auswurf, briet in der Julisonne vor sich hin. Gott hatte das Nest erschaffen, als er wieder einmal unter heftigem Verdruss über die Schöpfung litt und die Menschen dafür büßen lassen wollte. Das war lange her, aber die Strafe funktionierte immer noch; unabhängige Beobachter fragten sich allerdings zuweilen, ob sie angesichts der Bewohner Rathenows wirklich hart genug war.

Zu Zonenzeiten hatte Rathenow in Dissidentenkreisen heimlich Lutz-Stadt geheißen, benannt nach Lutz Rathenow, dem lyrisch wildesten DDR-Aufmischer noch vor Wolf Biermann und Sascha Anderson. Lutz Rathenow hatte als Dichter gegolten, doch nach 1989, als sein in gewaltigen Lutzmappen verstautes Oeuvre frei zugänglich wurde und zügig unangenehm anschwoll, hatte sich dieser Eindruck rasch verflüchtigt.

Lutz taumelte downtown. Abends zuvor hatte er in Teetz im „Culturgasthof“ sieben Zuhörer mit einer Lutzlesung gequält und wollte, von diesem Erfolg angestachelt, nun in Rathenow ein spontanes Lutzrevival ausrufen. Auf der staubigen Straße kam ihm ein älterer, volkslehrerhafter Mann entgegen. Lutz blieb stehen und quoll vor Wut aus seinem Hosenbund. Das war ja – Kant! Hermann Kant, der frühere Zonenhauptschriftsteller. Sein, Lutzens Feind! Lutz, der mit Hilfe des Goethe-Instituts auf dem Dichterticket ein bisschen in der Welt heruntergekommen war, bis der Schwindel sogar Germanisten auffiel, kratzte seine Englischvokabeln zusammen. „Hey Mister!“, rief er den verhassten Schriftsteller an. „Stop! No-go-area here for you!“

Hermann Kant drehte sich um. Er war seinerseits auf dem Weg nach Teetz, um, ebenfalls im „Culturgasthof“, vor alten Fans noch einmal seine Hits auszupacken und das Haus zu rocken. Jetzt hing ihm plötzlich dieser Hefekloß am Hacken, nervte und wagte es, ihn anzubrüllen, in aller Öffentlichkeit: „Bloody Kant!“, schrie Lutz. Kant übersetzte in null Komma nichts hin und her: Rathenow meinte das englische cunt – auf deutsch das böse Wort mit F. Manche schreiben es allerdings mit V, obwohl es ja eigentlich nicht zur Schriftsprache gehört, sinnierte der Autor, der mit seinem Roman „Die Aula“ einigen Ruhm auf Weltniveau zusammengerakt hatte. Nein, beschloss Kant, das muss ich mir nicht bieten lassen, nicht von Lutz Rathenow.

Kants Hand zuckte zum Gürtel, eine geschmeidige, tödliche Schlange. Der 38er-Peacemaker schien aus dem Halfter geradezu in seine Rechte hineinzuspringen. Ziehen und schießen war eins, und was Kant im Rohr hatte, waren keine Ballerplättchen. Die Luft war voll Blei; blaue Bohnen schlugen in Lutz ein und warfen ihn aufs Katzenkopfpflaster. Eine Mischung aus Blut, Pils und Friteusenöl entströmte dem Toten. Verängstigte Brandenburgerinnen und Brandenburger lugten hinter braun gerauchten Gardinen hervor. Kant, die Waffe im Holster versenkend, schlenderte weiter, zum Bahnhof. Teetz wartete. Der Oldie but Goldie sah den Titel seines neuen Soloalbums schon vor sich: Literaturkritik is a warm gun.

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