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Archiv-Artikel

schwarzrotgold: jubeln oder klappe halten! von WIGLAF DROSTE

Da hatte Gerhard Schröder einmal eine Idee, und schon schrie es aus dem rechten Milieu, als seien Daumenschrauben verteilt worden. Der Kanzler wollte den deutschen Nationalfeiertag künftig am ersten Sonntag im Oktober feiern lassen, um einen Arbeitstag mehr zu schaffen zugunsten des Bruttosozialprodukts. Ob das für diese Zwecke überhaupt getaugt hätte, interessierte die Protestierer gar nicht – sie bellten wie auf Knopfdruck: „Deutschland!“

„Finger weg vom Tag der Einheit!“, rülpste Bild, und der christnationale Horst Köhler schrieb: „Der 3. Oktober als Symbol für die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit ist wichtig für die Zukunft unseres Landes und sollte erhalten bleiben“ – ganz so, als hätte Schröder geplant, auf den 2. Oktober gleich den 4. folgen zu lassen. Volker Beck, Fraktionsgeschäftsführer der Grünen, heulte auf, Finanzminister Hans Eichel wolle „den einzigen Freudentag der Deutschen aus dem Kalender streichen“. Ich kenne Herrn Beck nicht, aber wer einen Nationalfeiertag als „Freudentag“ nötig hat, der kann einem schon leidtun; wer darin sogar „den einzigen Freudentag“ sieht, täte vielleicht besser daran, sich wieder in die Nahrungskette einzugliedern, um die 364 freudlosen Resttage im Jahr nicht mehr erdulden zu müssen.

Gegen das Streichen arbeitsfreier Tage an sich haben die deutschen Patrioten nichts einzuwenden. Guido Westerwelle wollte flink den 1. Mai zur Disposition stellen, den er lügnerisch als Erfindung der Nationalsozialisten desavouierte. Ein Land, das eine hassgesteuerte, grundverbissene Gestalt wie Guido Westerwelle nicht dauerhaft entmutigen kann, mitregieren zu wollen, hat keine Zukunft, die ich teilen möchte.

Ein von oben dekretierter Jubeltag soll nicht abgerüstet werden dürfen, hart erkämpfte Nichtarbeitszeit aber aufgegeben werden. Die Botschaft ist klar: Die Deutschen sollen mehr arbeiten und die Klappe halten oder eben arbeitslos sein und die Klappe halten – Hauptsache, sie parieren, auch am 3. Oktober, da sollen sie rumjubeln. So wollen es die Aspiranten einer neuen Rechtsregierung aus CDU, FDP und Teilen der Grünen. Das ist die Freiheit seit 1989: dass ALLE Deutschen alberne Winkelemente schwingen. Konsumieren dürfen und sollen sie auch, einkaufen für Deutschland, um, wie es heißt, „die Wirtschaft anzukurbeln“. Gibt es für einen Einkauf von mehr als 100 Euro bald schon eine kleine schwarzrotgoldene Anstecknadel?

Patriotismus kostet nichts, er ist die billigste aller Münzen. Dreist behaupten seine Vertreter, an Patriotismus sei wirtschaftliches Wohlergehen gekoppelt. Nationalbewusst soll der neue Deutsche sein, dabei „Eigeninitiative“, „Flexibilität“ und „Mobilität“ zeigen. Ich bin der eigeninitiativsten einer, arbeite in verschiedenen Berufen und reise dabei reichlich. Muss ich deshalb vor einer Fahne strammstehen? Und es für einen Fortschritt halten, wenn Menschen aufeinander gehetzt werden, um sich wegen Billiglohnarbeit zu prügeln?

Was wurde aus Schröders halbherziger Idee? Sie wurde verworfen, kaum dass es Gegenwind gab. Sozialdemokratie ist die Kunst des Nichtkämpfenkönnens um jeden Preis.