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Archiv-Artikel

schwarzfernsehen von EUGEN EGNER

Meine Frau teilte mir mit, sie wolle, da es bald Winter werde, hin und wieder fernsehen. Dazu brauche sie jedoch ein entsprechendes Gerät, und dieses dürfte nicht viel kosten.

Ich erzählte jedem davon, den ich traf, auch völlig Unbekannten. So bekam ich den Rat, es bei den Schwarzen auf dem Bahngelände zu versuchen. Das tat ich. In einer Baracke, auf deren Tür „Zu den Schwarzen auf dem Bahngelände“ stand, erfuhr ich, Fernsehapparate gebe es links vom früheren Lokschuppen, bei den Containern hinter der Pfütze, die so groß wie das Kaspische Meer sei. Es sei ratsam, Schuhe zu tragen. Beim Verlassen der Baracke entdeckte ich in einer alten Vitrine Bilder von meinem 54. Geburtstag. Besonders lustig fand ich das mit dem Titel „Der Zahnarzt ist da“ und kaufte gleich den kompletten Satz.

Die Sonne ging bereits unter, als ich mich endlich auf den Weg zur TV-Geräte-Ausgabestelle machte. Schnell merkte ich, wie sinnvoll der Hinweis auf die Schuhe gewesen war, denn das Gelände war ein einziger Morast. Mehrere echte Ganztags-Afrikaner und sehr viele Freizeitneger liefen im Schlamm zwischen Containern und Schuppen herum. Sie waren nur dank ihrer Augäpfel, Zähne und Hemdbrüste sichtbar.

Jenseits der riesigen Pfütze nahm mich ein Fremdenführer in Empfang und erkundigte sich nach meinem Wunsch. „Kein Problem“, sagte er. Während wir durch den Matsch wateten, erfuhr ich von ihm, dass all die Schwarzen damit beschäftigt waren, alles Mögliche in Frachtcontainer zu verladen, wieder herauszuholen und zu zerlegen, erneut in die Container zu stopfen, abermals herauszuholen und immer weiter zu zerlegen. Das ermöglichte ihnen, jedes Mal mehr in die Container hineinzubekommen. Eine besondere Vorliebe hegten sie für Kraftfahrzeuge. Hunderte schrottreifer PKW und Milchlaster standen auf dem Gelände, und ständig kamen weitere hinzu. Es war beabsichtigt, das Zeug eines Tages nach Afrika zu schaffen, doch Afrika war weit weg.

Endlich erreichten wir unseren Ziel-Container. Den davor einherwimmelnden Schwarzen rief der Fremdenführer, indem er auf mich zeigte, zu: „He need TV!“ Umgehend setzten sich zwei Männer in Bewegung. Meine weltberühmte blasse Haut leuchtete phosphoreszierend. „Brauchen Sie Löschkalk?“, fragte jemand aus einem Milchlastzug heraus. „He need TV“, antwortete der Fremdenführer für mich – der Service war erstklassig. Ich erfuhr sogar beiläufig, dass gleich um die Ecke ein Restaurant betrieben wurde, der traditionsreiche „Gasthof zur äußersten Not“. „Heute gibt’s Schlechtes Ragout“, vertraute mir der Fremdenführer an. „Meine Mutter kocht dort, aber ihr Name soll nicht genannt werden.“

Schon kehrten die Hilfswilligen zurück, etwas kleines Schwarzes tragend, das sie mir zu Füßen absetzten. Durch Abtasten identifizierte ich es als nicht einmal mittelgroßes Fernsehgerät ohne Fernbedienung. „No remote control?“, erkundigte ich mich. „No“, kam es aus der Finsternis zurück, „and it doesn’t work very well.“ Ich bedankte mich und ging ohne Fernseher heim. Meine Frau kann sich, wenn der Winter kommt, ja die Fotos von meinem 54. Geburtstag ansehen.