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Archiv-Artikel

schwabinger krawall: stubenhocker von MICHAEL SAILER

Den Hinweis seiner Frau, es könne nicht schaden, wenn er sich zwischendurch aus der Wohnung hinausbegebe, damit sie zum Beispiel auch einmal unter seinem Sessel staubsaugen könne, bescheidet Herr Hammler entschieden abschlägig: Zu dieser Jahreszeit komme ein solches Vorhaben einem Selbstmordversuch gleich. Wenn einen nicht gleich vor der Tür eine Dachlawine erwische, werde man von einem schlitternden Panzerwagen umgemäht, von Kindern mit aufgesammelten Silvesterblindgängern bombardiert, auf den Bürgersteigen trete man alle zwei Meter in einen aufgeweichten Haufen Hundedreck, und wer all diese Fährnisse unversehrt überstehe, werde unausweichlich von Lastwagen mit Feinstaub verkrebst.

Was sie da sagen solle, sagt seine Frau, schließlich müsse sie tagein, tagaus hinaus in den Wahnsinn, außerdem müsse sich der Mensch bewegen, um nicht zu verkümmern, und wenn er durchaus meine, dann bleibe sie ab jetzt eben auch daheim, und er könne ja zusehen, wo er sein Essen herbekomme.

Sie solle, sagt Herr Hammler, bloß an die alte Frau Reibeis denken, die sich, weil sie immer wie eine Wahnsinnige in der Gegend herumrumple, vor Weihnachten mit dem Fahrrad in eine Schneewehe gesetzt und dabei schon zum fünften Mal den Oberschenkelhals gebrochen habe. Hernach sei sie dann von der Klinik wieder heimgeschickt worden, weil man den Bruch für eine Prellung gehalten und sie sich mit ihrer Hartzrente kein Röntgenbild leisten habe können.

Er sei ja wohl nicht 92 und auch nicht verrückt, schreit Frau Hammler, obwohl sie sich da nicht mehr so sicher sei bei dem Unfug, den er daherrede, und man könne es doch nicht mehr als normal bezeichnen, wenn ein ausgewachsener Mann den ganzen Tag vor dem Fernseher herumsitze, bloß weil draußen ein Schnee und ihretwegen ein Feinstaub ist. Sie solle jetzt ruhig sein, sagt ihr Mann, weil er die Vierschanzentournee sehen wolle.

Atemlos verfolgt Herr Hammler die Sondersendung über eine unter Schneemassen eingestürzte Eissporthalle in Reichenhall; entsetzt erfährt er aus den Nachrichten, inzwischen sei außerdem eine Lagerhalle in Niederbayern zusammengebrochen und der Traunsteiner Bahnhof in höchster Gefahr, ebenfalls einzustürzen. Während seine Frau in der Küche brüllt, einen Feinstaub gebe es sowieso in erster Linie in geschlossenen Räumen, in denen die Menschen faul herumsitzen, und es sei ja wohl erwiesen, dass in Wohnungen viel mehr Menschen sterben als auf irgendeinem Bürgersteig, lauscht er entgeistert der Meldung von einer verheerenden Explosion in einem Mehrfamilienhaus in Mittelfranken und starrt minutenlang den fröhlich zischenden alten Gasofen an. Dann schlüpft er in die Schuhe, wirft sich den Mantel über und teilt seiner Frau – die soeben verkündet, sie habe von Fällen gehört, wo notorische Stubenhocker vom vielen Stubenhocken dermaßen wahnsinnig geworden seien, dass sie am Ende aus dem Fenster springen, was sie wahrscheinlich in nächster Zeit ebenfalls tun werde – mit, er werde jetzt in einen Biergarten gehen und sie solle ihn nicht so schnell zurückerwarten. Als unten die Haustür ins Schloss fällt, steht ihr schweigender Mund immer noch offen.