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Archiv-Artikel

schwabinger krawall: rauchzeichensprachstörungen von MICHAEL SAILER

Obwohl als „vergeistigt“ bekannt, ist Professor Nelkenthal weltlichen Genüssen nicht abgeneigt und hocherfreut, als ihm der Kollege Schrödinger beim Abendessen in einem Schwabinger Lokal als nachträgliches Kleinpräsent zum 70. eine kubanische Zigarre überreicht. Er werde, sagt Nelkenthal, das gute Stück zur Feier des Abends umgehend verzehren. Der Kellner wird um Zündhölzer ersucht. Er könne, sagt der junge Mann, solche zwar bringen, doch rate er vom Anzünden ab. Dies werde von anderen Gästen wenig geschätzt, zumal von der Dirigentenwitwe Hammeringer, die in ihrer Stammnische mit dem Intendanten Wohlweise diniere.

Nelkenthal beschließt, die Witwe Witwe sein zu lassen. Kaum ist das Holz entflammt, erscheint die streitbare Dame am Tisch und erklärt, den „Stinkterror“ könne er veranstalten, wo er wolle, jedoch nicht im öffentlichen Raum. Auf den Anlass hingewiesen, betont sie, ihr selbiger sei 20 Jahre her, und sie hätte ihn sicher nicht erlebt, wenn sie nicht zeitlebens gegen die Verstänkerung ihrer Atemluft vorgegangen wäre. Der Professor meint, dies sei kein Grund für Streit, und man werde sich schon einigen können. Hier gehe es nicht um Einigung, sondern um systematischen Mord, kreischt die Witwe, und da reicht es dem Professor: Er würde es sehr begrüßen, wenn sie sich mäßige; im Übrigen rauche er, wo er wolle, solange man dafür noch nicht ins Gefängnis gesteckt werde.

Sie, schreit Frau Hammeringer, sehe sich gezwungen, die sofortige Entfernung des Gastes zu fordern. Dem kommen die Herren zuvor, indem sie beschließen, den angebrochenen Abend in der Bar eines traditionsreichen Hotels zu Ende zu führen. Gott sei Dank ist der Fußweg nicht weit, denn als der Taxifahrer erscheint, wirft er einen Blick auf das braune Rohr, das Nelkenthal noch in der Hand hält, sagt, man könne nicht von ihm verlangen, sich auf Wochen hinaus das Geschäft zu zerstören, und fährt davon.

In der Bar wird den Herren mitgeteilt, man habe auf Wunsch vieler Gäste auf „Nichtraucherbetrieb“ umgestellt. Was für Gäste, fragt der Professor verblüfft. Er sehe nicht einen einzigen. Um ehrlich zu sein, gesteht der Kellner, handle es sich um den neuen Inhaber der Hotelkette, ein Mitglied einer kalifornischen Esoteriksekte, die allen Giften abgeschworen habe und selbst den Alkoholausschank nur widerwillig dulde. In diesem Fall, sagt Nelkenthal, werde er heimgehen und die Zigarre in seinen eigenen vier Wänden abbrennen.

Sein Vermieter gibt später an, er habe trotz der vorgerückten Abendstunde die Klingelanlage überprüfen wollen und nur so allgemein darauf hingewiesen, dass es sich bei den gemieteten Räumen um eine Nichtraucherwohnung handle. Für den folgenden Tobsuchtsanfall findet er keine Erklärung; da geht es ihm ebenso wie den Polizeibeamten, die der Zentrale melden, sie hätten in der Kurfürstenstraße einen älteren Mann, der lauthals schreiend einen Suizid durch orale Einnahme einer Zigarre androhe. Mit Verstärkung gelingt es, den Wütenden aufs Revier zu transportieren. Dort klärt sich der Fall: Zwar ist auch in der Polizeiinspektion das Rauchen seit kurzem nicht mehr gestattet, aber die Beamten fühlen sich befugt, eine Ausnahme zu machen.