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Archiv-Artikel

schwabinger krawall: nackt am bach von MICHAEL SAILER

Vielleicht hat Herr Reitinger ein bisschen zu lange hingesehen, weil ihm der Blick verschwommen ist in der 39 Grad heißen Dampfluft. Jedenfalls hat die junge Dame sehr energisch und unduldsam gebrüllt, ob er vielleicht ein Passfoto von ihr wolle, dass er ihren Busen nicht anzustarren habe und ein widerlicher alter Spanner sei. Und was er sich denke, hier ostentativ splitternackt inmitten anständig bekleideter Badegäste herumzuliegen und unverlangterweise seinen „Pint“ zu präsentieren.

Einen Augenblick lang ist Herr Reitinger baff, lange genug, um ein allgemeines Kichern zuzulassen, dann sagt er, er glotze überhaupt nicht, könne aber auch nicht den ganzen Tag die Augen zulassen, weil er dann an einen Baum renne und genauso blöd werde wie sie, im übrigen bade er hier am Schwabinger Bach seit über 30 Jahren nackt, was zulässig und vollkommen normal sei und sie, die außerdem gar keinen Busen zum Anstarren habe, sowieso nichts angehe.

Da habe er recht, pflichtet eine ältere Dame bei, die am anderen Ufer ebenfalls splitternackt auf ihrem Handtuch liegt und hinzufügt, auch sie bade seit über 30 Jahren hier nackt, und von diesen Kunststofflumpen kriege man höchstens einen Pilz.

Es sei ihr, kreischt die junge Dame, vollkommen „schnurz“, was Tattergreise vor dem Ersten Weltkrieg getrieben hätten, sie wolle jedoch keine schrumpeligen Geschlechtsorgane vorgehalten bekommen, und der Herr habe wohl einen Ozonkoller.

Zufällig reiten eine Polizistin und ein Polizist daher, von denen die junge Dame verlangt, sie sollten einschreiten. Wenn, sagt Herr Reitinger, dann sollten sie die Dame verhaften, weil es sich bei dieser um eine Krampfhenne und gemeingefährliche Brunzkachel handle. Ob er nicht „der Klügere“ sein wolle, fragt der Polizist, was Herr Reitinger kategorisch ablehnt. Das sei typisch für diese Exhibitionisten, keift die Dame. Man sehe, erläutert die Polizistin mahnend, vorläufig keine Handhabe, werde es jedoch nicht zu strafwürdigen Beleidigungen kommen lassen.

Ob jetzt vielleicht endlich eine Ruhe einkehre, brüllt die ältere Sympathisantin, während ein nasser Hund verzweifelt bellend zwischen den Streitparteien herumhüpft und ein paar Meter weiter drei junge Männer hektisch bemüht sind, ihre Erdpfeife zu verschütten, wobei sie eine quellende Rauchwolke erzeugen, die intensiv nach Haschisch, Fäulnis und verbrannten Ameisen riecht.

Herr Reithofer wird nach Ausstoßung weiterer Schimpfwörter um Vorlage des Ausweises ersucht, den er nicht dabeihat. Ein Trupp Junganarchisten, die umgeben von einer Batterie Bierflaschen in voller Schwarzmontur am anderen Ufer sitzen, begleiten den Vorgang mit Klatschen und „Bravo!“-Rufen und skandieren johlend, sie wollten „keine Bullenschweine“. Die Beamten beschließen, es sei Zeit, Verstärkung herbeizurufen und durchzugreifen.

Als Frau Reithofer ihren Mann gegen Mitternacht aus dem Augustinergarten heimholt, wo er nach der erkennungsdienstlichen Behandlung seine neuen Kameraden „auf eine Maß“ eingeladen hat, ist sie zunächst sprachlos. Immer noch verstört sagt sie anderntags im Treppenhaus zu Frau Hammler, so kenne sie ihren Mann gar nicht.