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Archiv-Artikel

schwabinger krawall: himmlische hexenruhe von MICHAEL SAILER

Wenn jetzt nicht sofort eine Ruhe sei, brüllt Frau Hammler vom Balkon in den Hof hinunter, wo die Kinder spielen, dann hole sie den Hausmeister. „Wen holst?“, fragt ihr Mann, der vor dem Fernseher sitzt und früher einmal Hausmeister war, während es einen solchen heute längst nicht mehr gibt.

Das sei nicht zum Aushalten, brüllt Frau Hammler zur Erklärung in die Wohnung hinein. Sie sei wohl verrückt geworden und solle gefälligst die Kinder spielen lassen, wo es schon endlich einmal nicht mehr regne, brüllt es von einem tieferen Balkon herauf.

„Wer war das?! Wer das war?!“, brüllt Frau Hammler nach einer Schrecksekunde hinunter. „Du alte Hexe!“, schallt es aus dem Hof. Er wolle seinen Fernseher hören, röhrt jemand aus dem Haus nebenan. „Maul halten!“, schallt es von oben, dann ertönt entfernter Torjubel. Er solle sofort hinuntergehen und dem mit der Hexe eine schmieren, fordert Frau Hammler von ihrem Mann, der so tut, als hörte er sie nicht, und angeregt eine Reklamesendung verfolgt, in der sich mehrere Italiener verschiedener Generationen über Balkone hinweg beschimpfen, um sich dann mit einer Flasche Schnaps wieder zu versöhnen.

Sie solle halt ein Bier trinken, murmelt Herr Hammler. Seine Frau macht „gä!“ und verschwindet wieder auf den Balkon, worauf von draußen wildes Gebrüll in verschiedenen Stimmlagen ertönt: „Und wenn ich!“ – „Ich werde Sie!“ – „Kommt’s ihr mir bloß!“ – „Halten Sie sich!“ – „Das werden wir schon!“ – „Endgültig!“ – „Der Gipfel!“ – „Ich!“

Da sie nicht mehr zu Wort kommt, räumt Frau Hammler das Feld, schenkt sich einen Eierlikör ein und setzt sich zu ihrem Mann. Im Fernseher ist ein Reklamefilm zu sehen, in dem ein Auto lautlos durch ein vollkommen menschenleeres Paradies rollt. Jetzt höre man nichts mehr, stellt Herr Hammler fest. Weil er den Fernseher immer so laut mache, sagt sie, da könne man ja nichts hören. Ob sie das Geschrei am Ende mit Gewalt hören wolle, fragt er, und sie sagt, nein, aber den Fernseher auch nicht. Sie wolle gar nichts hören. Dann, bescheidet sie ihr Mann, müsse sie sich im Keller einsperren, da sei es still. „Da klappert die Heizung.“ – „Dann kaufst dir Ohrenstöpsel.“

Es folgt ein verhältnismäßig langes Schweigen, während im Fernseher eine wilde Schießerei mit mehreren Todesopfern und Explosionen zu sehen ist. Frau Hammler geht wieder auf den Balkon und findet, jetzt sei tatsächlich Ruhe. Ihr Mann antwortet nicht. Im Fernseher stampft ein Publikum wie entfesselt im Takt, während ein dicker Mann durch die Reihen geht und brüllt: „Ohne Musik geht nix!“

Eine Polizeisirene heult auf, kurz darauf knattert ein Hubschrauber im Tiefflug über die Dächer. Vor dem Haus gegenüber bläst jemand mit einer Art Dieselturbine Unrat vom Pflaster, etwas weiter die Straße hinunter rumpelt ein Presslufthammer. Lautes Hupen, dann rollt tosend und zischend ein Tanklastzug vorbei. In der Ferne klingelt die Trambahn, ein donnerndes Flugzeug verschafft Menschen in die Welt.

Das sei eine geradezu himmlische Ruhe, schwärmt Frau Hammler. Da kriege sie direkt Lust, noch schnell hinunterzugehen und den Teppich zu klopfen.