schurians runde welten : Mein Schwager aus Kalabrien
„Haben Sie Champions League gesehen? Den Real-Profis haben auch die Nerven geflattert. Plötzlich konnten selbst Weltstars keinen Paß mehr über fünf Meter spielen...“
(Darius Wosz)
In anderthalb Jahren wird die Fußballerisierung des Landes abgeschlossen sein und abflauen. Endlich werden aus getunten Arenen wieder fremde Orte, die einen schaudern lassen inmitten von Besuchern, die man sonst von der Zapfsäule kennt oder im Halbdunkel einer Kneipe. Bis dahin bin auch ich bestimmt vom medialen Eventfußball: Ertappe mich bei Wortspielen, die wie Hundepudding übers grüne Geläuf hopsen. Lehrern gehe ich mit Ratschlägen auf die Nerven, sich einfach wie ein Schiedsrichter den jugendlichen Nervensägen zu erwehren. Ich horche hinein in meinen Körper, merke zumachende Muskeln, das fortschreitende Lebensalter. Bin aber nicht allein.
Mein Schwager ist Italiener, Anhänger des AS Rom und erlebt derweil düstere Tage, schon im Sommer nahm er mich bei Seite, ich dachte wunder-was-geschieht: Mit feierlichem Ernst, als ginge es um die Aufnahme meines Patenkindes, ein Testament, meine Sünden ließ er seine gewählten Worte übersetzen – plötzlich beunruhigte mich seine kalabrische Verwandtschaft: „Schwager, es geht um etwas eminent Wichtiges: Du weißt, in bald zwei Jahren findet die Weltmeisterschaft hier in Deutschland statt, und nun meine Bitte...“ Seine Stimme klang jetzt belegter, fiel ins heisere Diskant, er nahm meine Hand, blickte still in meine Augen und flüsterte: „Cognato, Du musst mir helfen. Ich brauche Eintrittskarten, in Monaco, in Dortmundo, Geelsenkirschenn, Kolon.“
Eine Bitte, die ich ihm nicht abschlagen kann. Seither achte ich auf den Marketingzirkus vor den Spielen. Weiß, dass zwei Kölner Puppenspieler sich in das Kostüm des abgewetzten WM-Maskottchens zwängen, dass Köln und Dortmund eigene WM-Plakate fabrizieren, die auch nicht besser sind als das FußbALL, dass in Gelsenkirchen gebaut wird und Leverkusen auch ohne Calmund als Trainingslager herhalten will. Ich weiß längst, dass ich ab Februar übers Internet Tickets bestellen kann, dass ich an einem globalen Lotteriespiel teilnehme, dass es mein Schwager fast besser in Italien versuchen könnte, dass ich ihm das aber nicht sagen kann, dass ich ihn nicht enttäuschen kann, will, darf. Puh. Ich habe jetzt auch Zuhause einen schnellen Internetzugang; Fußball, halt ein!
CHRISTOPH SCHURIAN