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Archiv-Artikel

schurians runde welten Am Fuße des Wilden Kaiser

„Das war ein Kampf: Wir hatten hier das Schneechaos. Es war zum Verzweifeln. Kaum hatte ich das Zeug weg geschippt, war wieder alles zu und ich musste aufs Neue ran.“ (Dettmar Cramer, 80)

Monaco, Juhnke, Wojtyla. Fast wünscht man sich mehr tote Männer, der Trauerterror würde sich in einem Aufwasch erledigen. Nur einer soll ewig leben: Dettmar Cramer, nicht Fußballpapst, aber fast. Am Sonntag feierte der gebürtige Dortmunder im Englischen Garten mit den Bayern seinen 80. Geburtstag. Dort wurde der 1,65 Mann zum Trainer-Napoleon, Weltpokalsieger, Fußball-Karajan.

Wie der Wagner-Dirigent fährt er noch heute ein Coupé mit Raketenmotor, lässt sich mit Heckantrieb in Reit im Winkl einschneien – wie ein Sisyphus liebt er das Schneeschippen. Ich traf ihn mal im Frost am Fuße des Wilden Kaiser. Wir stiegen hinauf durch das schmale Holzhaus. Vorbei an der sich scheu verbeugenden (nord?)koreanischen Lebensgefährtin. Erst bei der Handarbeit, dann im Room-Service: Sie ist dem Fallschirmspringer (“Monte Cassino“) auch eine gute Enkelin.

Cramer war Bundestrainer Sepp Herbergers Assistent, Fifa-Lehrer, trainierte Japan, Kanada, auch Leverkusen, noch heute lehrt er „den Asiaten“ das große Spiel. Er entstammt einer anderen Zeit der „gesunden Härte“. Plötzlich springt er auf, wirft sich auf den Boden, pumpt zwanzig einarmige Liegestützen. Nach dem Krieg spielte der Dekorierte erst für Kartoffeln, dann für Wiesbaden und Dortmund in der Oberliga, wurde 1949 erster westdeutscher Verbandstrainer. Auf dem Fahrradsattel ritt er Rindfleischstücke so weich, dass er sie am Spieltag auf einem Hügel sitzend nach Tatarenart verspeiste. Mit Zwiebel und Ei.

Auch heute hat er seinen Proviant dabei. Zehn, zwölf Stunden sitzt Cramer bei Mineralwasser und einer Banane. Doziert eisern über Fußball, sein Wesen, den springenden Punkt: den Ball. Erzählt von Herberger, dem Chef, der ihn verschmähte, den „Philanthrop“ Helmut Schön vorzog und zu seinen vielen Frauengeschichten nur sagte: „Etwas Kampf muss dabei sein“ – Zuhause weinte Herbergers Ehefrau. Von Sepp Maier: Im Trainingslager entlarvte den Torwartstar ein Urinfleck im Schnee, zeugte von Ausflügen ins Wirthaus, in das leichte Leben.

Eine weithin unbekannte Girlande in Cramers Leben nach dem schmerzhaften Abschied aus der Nationalmannschaft: Cramer arbeitete mit Wim Thölke in der Aufbauredaktion des Aktuellen Sportstudios. Glaubt man dem Beckenbauer-Intimus erfand er sogar das Torwandschießen. Sechs Schuss, sechs Treffer, das bleibt.

9.4. Bielefeld – Kaiserslautern

Mit Amateurcoach Hans-Werner Moser als neuem Cheftrainer fährt Lautern nach Ostwestfalen. Moser machte sich übrigens im Ruhrgebiet, nun ja, einen Namen. Der Ex-Profi führte Westfalia Herne zurück in die Oberliga, verließ den Club überstürzt. Schon damals schien Moser bereit zu sein für den Trainer-Schleudersitz Betzenberg: „Ich bin der Letzte, der kein Verständnis dafür hat, wenn die Leute nach schlechten Spielen pfeifen oder den Trainer kritisieren“.CHRISTOPH SCHURIAN