schnittplatz : DDR-Déjà-vu beim VEB Superstar
Nicole Süßmilch aus Berlin lernt gerade eine Menge übers Popgeschäft, in das sie mal richtig professionell einsteigen will. Erst war sie aus dem RTL-Wettbewerb „Deutschland sucht den Superstar“ rausgewählt worden, nun ist sie wieder drin – als Nachrückerin für die eigentliche Favoritin, die den ganzen Rummel nicht mehr verkraftet. Eine schöne Story. Noch schöner wäre die, wenn ausgerechnet Nicole den Wettbewerb am Ende gewinnen würde. Noch hat sie ja Chancen. An ihrem Selbstbewusstsein sollte es nicht scheitern: Sie ist kein Neuling auf der Bühne. Immerhin hat sie schon im Vorprogramm der Puhdys gesungen. Die Puhdys, die immer noch davon träumen, einmal im Vorprogramm der Rolling Stones aufzutreten, werden Nicole sicher die Daumen drücken. Schließlich könnten sie sehr stolz sein, wenn ihre Vorprogramm-Sängerin Deutschlands Superstar wird.
Ansonsten ist so eine Vorsingerei vor einer Jury zum Zwecke des Reich- und Berühmtwerdens für die Puhdys – und Tausende andere ehemalige DDR-Bands – natürlich nichts Besonderes. In der DDR gab es das zuhauf, nur hieß die Show damals Einstufung und die Jury bestand aus geschmackssicheren Kulturfunktionären. Die entschieden nach ästhetischen und inhaltlichen Gesichtspunkten, wer eine Einstufung als Berufssänger oder Berufskapelle bekam und wer nicht. Perfektioniert wurde das Jury-System auf dem Weg zum sozialistischen Popstar in der DDR durch das Staatliche Komitee für Unterhaltungskunst. Das bestand aus „Vertretern der Massenorganisationen, Massenmedien, Konzert- und Gastspieldirektionen, der Künstleragentur, des Verbandes der Komponisten und Musikwissenschaftler und ausgewählten Künstlern“ (aus: „Rocklexikon der DDR“, Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf). Der Generaldirektion des Komitees oblag wiederum die Aufgabe, „die Unterhaltungskunst zu leiten, planen und zu koordinieren“. Den Puhdys ermöglichte es beispielsweise 1974, ihr erstes Album aufzunehmen. Außerdem erspielten sich die späteren Superstars der DDR in jenem Jahr eine Goldmedaille im „Interpretenwettbewerb der Unterhaltungskunst der DDR“. Leider waren die Fernsehkameras damals nicht dabei. GUNNAR LEUE