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schlaglochTäglich grüßt der Doomsday

Der psychologische Blick auf den Faschismus erklärt viele Gefühle der Gegenwart. Es gibt immer mehr autoritäre Charaktere, die falsch abdriften

Vom Habitus her bin ich ja ein lebensfroher, grundsätzlich sehr optimistischer Mensch. Ich neige nicht zur Klage und bilde mir ein, eine freudvolle Art zu haben. Ich bin Optimist von Gemüt, hänge aber auch der Ansicht an, dass Optimismus eine progressive Tugend ist, weil nur der Optimist etwas zuwege bringt, im Unterschied zu antriebslosen Jammerlappen, die schnell in ihrem ewigen Lamento versinken.

Es ist aber in der letzten Zeit so, dass mich die Realität düster stimmt. Die Wirklichkeit löst etwas „Dr. Doom“-haftes in mir aus, wofür ich sie aus ganzem Herzen schmähen und ausschimpfen möchte.

Der Aufstieg der neuen Faschisten und ihrer verrohten Sprache sowie der paranoide Sound der Politdiskurse bringt uns auf eine schiefe Bahn. Das kann übel ausgehen.

Ein anderer taz-Kolumnist, Georg Seeßlen, hat in seinem neuen Buch (mit Markus Metz) geschrieben: „Wir glauben, rundheraus gesagt, nicht daran, dass die Demokratie, die liberale Gesellschaft, die Kultur, Ökonomie und Wissenschaft in ihrem derzeitigen Zustand der Bewegung nach rechts, in Anti-Demokratie, Anti-Liberalismus und Anti-Humanismus, ernsthaften und entscheidenden Widerstand entgegensetzen kann und will.“

Der Rechtsextremismus ist eine Massenhysterie geworden. Er beherrscht die Schlagzeilenei. Seine Paranoia steckt immer mehr Leute an.

Der legendäre Sozialforscher Leo Löwenthal, Co-Autor der Untersuchung „Falsche Propheten“ und Schlüsselfigur der Arbeiten der Kritischen Theorie über den „autoritären Charakter“, hat einmal die faschistische und populistische Agitation mit den schönen Worten charakterisiert, „dass sie die Psychoanalyse auf den Kopf stellt“. Während der Psychoanalytiker die Neurosen zu heilen versucht, betreibt die rechte Agitation das Gegenteil: Sie schürt die Wut, die Verbitterungsgefühle, will ihre Anhänger in vollends para­noide Charaktere verwandeln, macht sie „neurotisch und psychotisch“.

Gängige Analysen verdeutlichen auch, dass der Neoliberalismus den Menschen den Kampf aller gegen alle eintrichtert, sie also brutalisiert; dass die zeitgenössische politische Szenerie dazu führt, dass sich Opfer der Zustände übergangen fühlen.

Dabei machen bestimmte Eigenschaften den Menschen unterschiedlich anfällig für die Agitation, also vor allem den „autoritären Charakter“, der zu Aggression, Stereotypisierungen und Verschwörungsdenken neigt. Zynismus und Destruktivität zeichnen ihn aus. Hinzu kommen überzeugende Diagnosen, dass das heutige autoritäre Individuum anders tickt als das noch vor sechzig Jahren: Es ist narzisstischer, ichbezogener. Der Typus des „Spinners“ und des „autoritären Rebellen“ dominiert – stets die Parole „Nicht mit mir!“ auf den Lippen.

Jahrgang 1966, lebt und arbeitet in Wien. Journalist, Sachbuchautor, Theatermacher und taz-Kolumnist. Jüngste Veröffentlichung:

„Das große Beginnergefühl: Moderne, Zeitgeist, Revolution“, Suhrkamp Verlag, Berlin 2022.

Schlagloch-Vorschau:

20. 8.

Georg Seeßlen

27. 8.

Charlotte Wiedemann

3. 9.

Mathias Grefrath

10. 9.

Ilija Trojanow

17. 9.

Gilda Sahebi

Die reine politische oder gar ökonomische Erklärung reicht aber absolut nicht aus. Der neue Faschismus ist ein sozialpsychologisches Phänomen, eine Massenhysterie, in der individuelle Gemütszustände aufeinander prallen, zur politischen Klimakatastrophe werden, die dann wieder auf den Einzelnen zurückschlägt.

Im Zuge dessen verändern sich die, die direkt in die Fänge der Agitatoren kommen, einen Tunnelblick entwickeln, in den Wahn einer Pseudo-Realität geraten.

Eine Sozialpsychologie des neuen Faschismus muss also nicht nur darlegen, was Menschen für die polarisierende Ideologie empfänglich macht – sondern auch, wie diese sie massenhaft verändert. Markus Brunner hat im Psychosozial-Verlag eine Untersuchung mit dem Titel „Sozialpsychologie des Autoritären“ veröffentlicht, in der er diese „Massendynamik“ und die Rückkopplungsschleife beschreibt, in denen die „verfestigt-autoritäre Persönlichkeit“ sich erst bildet.

Eine Dynamik, in der sogar einstmals gutwillige Leute in die Fänge des Autoritarismus geraten können und dann ein verhärtetes, rechtsradikales Weltbild entwickeln. Es sind Prozesse, die Menschen umerziehen, sodass sie am Ende sogar zu Grausamkeiten bereit sind.

Einerseits geschieht das mit Sprache – dem viel zitierten Verschieben der Grenzen des Sagbaren –, der „Verhärtungsdynamik“, die Radikalisierungsprozessen eigen ist, dem Herbeifantasieren der „angeblichen Machenschaften der Feinde“ (Brunner), was nicht nur Wut und Empörung schürt, sondern jede Art von Gegenwehr legitimiert.

Die Radikalisierten selbst sind die Störung der öffentlichen Ruhe, die sie anprangern

Zur Rhetorik gesellt sich immer mehr auch das Performative: grausame Dinge werden getan, und sie werden öffentlichkeitswirksam getan – unter dem Jubel des enthemmten Publikums. Man denke nur an Donald Trumps Menschenfänger in den Innenstädten und an die Internierungslager, in denen die bedauernswerten Aufgegriffenen verschwinden.

In der Massenhysterie wird die rechte Anhängerschaft zu einer lärmenden Masse, die selbst noch einmal wechselseitig aufeinander einwirkt, wodurch sich bei ihren „Anhänger:innen die autoritären Bedürfnisse verstärken“ (Brunner). Wirklich skurril ist: Der gesellschaftliche Desintegrationsprozess verfestigt das Bild einer Zivilisation im Zerfall. Der Faschismus wird zum Beweis dessen, was er behauptet. Die Radikalisierten selbst sind die Störung der öffentlichen Ruhe, die sie anprangern.

Durch Social Media und Hetzportale ist zudem ein mediales Ökosystem erzeugt worden. In diesem Klima werden der Herdeninstinkt und, frei nach Sigmund Freud, „soziale Triebe“ einer „Kollektivseele“ angestachelt. Heute werden Individuen vor ihren Smartphones in eine Art kollektiv-isolierte, noch mal in Freuds Worten, „Unverantwortlichkeit der Masse“, soziale „Ansteckung“ und „freie Triebbefriedigung“ hineingesteigert, indem man sie ­minütlich mit Empörungsreizen beschießt. Freud beobachtete es schon und nun passiert es wieder. Früher kannte man das von Pogromen.

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