salt and pepper: Olympische Oase der Rechtschaffenheit
Kein Platz für Taschendiebe
Die Bürger von Utah sind, so die allgemeine Einschätzung in den restlichen Vereinigten Staaten, clevere, fleißige, wohlhabende und gesittete Leute. Der Staat hat die geringste Zahl von Analphabeten, mit die höchste an College-Absolventen, es gibt keine Slums und in Salt Lake City ist in diesem Jahr noch kein einziger Mord passiert. Die befürchtete Welle des Verbrechens während der Olympischen Spiele ist ebenfalls ausgeblieben. Taschendiebe und Prostituierte, letztere in diesem frommen Staate durchaus als Ausbund kriminellen Unwesens betrachtet, waren in Massen erwartet worden, haben es aber offenbar vorgezogen, die Gastlichkeit der Utahns lieber nicht auf die Probe zu stellen. Außerdem dürfte es keinem Taschendieb großen Spaß bereiten, wenn er seine mühsam erhaschte Beute gleich zehn Meter weiter beim nächsten Sicherheitscheck in einen freundlich bereitgehaltenen Behälter füllen muss. Die Frage „Kann ich vielleicht noch 25 Schälchen haben?“ dürfte kaum besonders gut ankommen.
Das scheußlichste Olympiaverbrechen war bisher der Amoklauf einer ebenso einheimischen wie betrunkenen Dame, die es schaffte, an einem Sicherheits-Checkpoint gleich vier Polizisten zu verletzen. Kaum auszudenken, wenn es sich nicht um eine etwas ungebärdige Bewohnerin des Mormonenstaates gehandelt hätte, sondern tatsächlich um einen Abgesandten der Achse des Bösen. Derartiges hatte ein örtlicher Sheriff gewittert und groß den Fang eines arabischen Top-Terroristen mit 300.000 Dollar im Kofferraum bei einer Highway-Kontrolle herausposaunt. „Bloß ein simpler Drogenhändler“, teilte das FBI jedoch geringschätzig den enttäuschten Cops mit, die sich für eine paar Stunden als amerikanische Helden gefühlt hatten.
Die Wachsamkeit der Bevölkerung bleibt trotzdem ungebrochen. Kürzlich wurde halb Park City abgesperrt, nachdem ein braver Bürger beobachtet hatte, wie jemand zwei verdächtige Pakete in einem Mülleimer deponiert hatte. Unter großer Anteilnahme der Olympiatouristen sprengte ein eilfertiger Roboter das verdächtige Objekt inklusive der beiden darin befindlichen Lunchboxes. Ein paar Tage vorher hatte es in Salt Lake City nahe des Postamtes ein Sandwich erwischt, wofür anderthalb Stunden lang die City blockiert wurde.
Ansonsten beschränken sich die Gesetzesverstöße weitgehend auf betrunkenes Fahren und illegalen Schwarzhandel, was zwar komisch klingt, aber tatsächlich existiert. Leute, die auf der Straße gern Tickets zu mächtig überhöhten Preisen verkaufen wollen, konnten vor den Spielen für 750 Dollar eine Lizenz erwerben. Bin doch nicht blöd, dachten sich viele, und sparten das Geld lieber. Deshalb musste jetzt ein zusätzlicher Kontrolleur bestellt werde, wofür die lizenzierten „Scalpers“ als direkte Nutznießer noch einmal jeweils 1.000 Dollar berappen mussten, was sie schließlich grummelnd taten. Schließlich waren sie extra von New York oder Chicago angereist, um den olympischen Reibach zu machen. Unermüdlich laufen sie mit ihren etwas irreführenden Schildern „I need Tickets“ durch die Straßen, und wenn laut Talk-Host Jay Leno 80 Prozent der schwarzen Bevölkerung Utahs durch das Basketball-Team der Utah Jazz repräsentiert werden, sind die restlichen 20 Prozent im Moment bei den Scalpers zu suchen.
Langsam kommt das Business sogar in Schwung, nachdem in der ersten Woche massenhaft Tickets zum Nennwert oder sogar darunter den Besitzer wechselten. Die Entscheidungen im Eishockey und Eiskunstlaufen beleben das Geschäft, sogar Karten für das immer beliebtere Curling gehen inzwischen für das Doppelte des ursprünglichen Preises weg. Außerdem sind viele Einheimische, die bisher Olympiamuffel waren, in eine Art Torschlusspanik verfallen, und möchten nicht in alle Zukunft erzählen müssen, dass die Spiele in ihrer Stadt waren, sie aber keinen einzigen Wettkampf gesehen haben.
Auf einen ähnlichen Effekt hoffen auch Restaurants und Shops. Für jene im Zentrum von Salt Lake City rund um die olympische Zone und die in Park City waren die Spiele bisher das reinste El Dorado, wer jedoch außerhalb der Trampelpfade lag, schaute dumm drein. Kaum ein Olympiatourist verirrte sich in diese Gegenden und die einheimischen Gäste blieben zuhause, weil vorher aus Angst vor einem Verkehrschaos wochenlang vor verstopften Straßen und Parkplatzmangel gewarnt worden war. Bitter enttäuscht sind die Ortschaften, in deren Nähe olympische Events stattfinden. In Erwartung zahlungskräftiger Massen hatte man sich für einen Ansturm gerüstet und musste erleben, wie die Olympiazuschauer in ihren Shuttle-Bussen vorbei rauschen und danach möglichst schnell wieder heim.
So hoch schlug die Goldrauschstimmung vor den Spielen, dass sogar die bescheidensten Hotels und Motels ihre Stammgäste vor die Tür setzten, indem sie die Preise in stratosphärische Höhen trieben, in einem Fall von 12 auf 200 Dollar pro Nacht. Mit der Folge, dass der Andrang in den Obdachlosenunterkünften in den Tagen Olympias erheblich höher ist als sonst. MATTI LIESKE
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