rumänien und die EU-normen : Der echte rumänische Schafskäse
„Wir erwarten nichts Gutes“, sagt Gheorghita Corca, als er auf den bevorstehenden Beitritt Rumäniens zur Europäischen Union angesprochen wird. Die Hälfte seines Lebens hat der kleine drahtige 71-Jährige aus der siebenbürgischen Kleinstadt Zarnesti als Schäfer gearbeitet. Brachten früher die Auslieferung von Waren mit dem immer noch gebräuchlichen Pferdewagen und die Arbeit in der Papierfabrik in Zarnesti das meiste Geld in die Haushaltskasse, ist heute die Schäferei seine einzige Einkommensquelle. Seit Mai hüten Corca und vier andere Schäfer wie jedes Jahr am Fuße des Königsteingebirges in Plaijul Foi 220 Schafe. Ein hüfthoher Bretterzaun sowie zehn Hunde sollen die Tiere vor unwillkommenen Besuchern schützen. Das gelingt nicht immer. „Im vergangenen Jahr haben Bären am helllichten Tag vier Schafe gerissen und wir haben dafür keine Entschädigung bekommen“, sagt Corca.
Seine Skepsis gegenüber Brüssel ist berechtigt. Der Schäfer öffnet die Tür zu einer Art Bretterverschlag. In einem großen Bottich, auf dessen Rändern sich Mücken und Fliegen niedergelassen haben, köchelt über einer offenen Feuerstelle Schafsmilch. An den Wänden hängen prall gefüllte Kalbs- und Schweineblasen. Im Nebenraum lagern in Tüchern von undefinierbarer Farbe quadratische Käse. Vier Sorten Schafskäse, rund 300 Kilogramm monatlich, werden hier hergestellt. Je nach Art und Dauer der Behandlung unterscheiden sie sich in Farbe und Geschmack. Als besondere regionale Spezialität gilt der zartgelbe Brinza, der in Tannen- oder Fichtenrinde eingewickelt wird und dadurch sein leicht herbes Aroma erhält. Ein Kilo des Käses, der einem Baumstamm mittlerer Dicke ähnelt, bringt Corca umgerechnet sechs Euro ein.
Doch nach dem EU-Beitritt Rumäniens dürfte zumindest mit dem offiziellen Verkauf Schluss sein. „Natürlich wissen wir, dass wir unseren Käse nicht nach EU-Normen herstellen“, sagt Gheorgita Corca. Schon jetzt würden Betriebe Milch von Kühen, die mit der Hand gemolken werden, zur Weiterverarbeitung nicht mehr abnehmen. Eine Melkmaschine könnten sich die meisten Bauern jedoch nicht leisten.
Doch es sind nicht nur neue Vorschriften und Hygienestandards, die der traditionellen Landwirtschaft Rumäniens den Garaus machen könnten. Auch beim Nachwuchs hapert es. „Viele junge Leute gehen in die Städte, weil ihnen hier die Arbeit zu schwer ist“, sagt Corca. Er dagegen liebt sein Dasein als Schäfer und will weitermachen. Und die EU? Corca grinst. „Die“, sagt er, „kann von uns noch lernen. Gesetze sind auch dazu da, umgangen zu werden. Das haben wir Rumänen immer verstanden.“
BARBARA OERTEL