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Archiv-Artikel

robin alexander über Schicksal Durchs Fleisch schneiden

Als Kirchentag und Pokalfinale zusammenfielen, fuhr der Heilige Geist in mich und Lücke den Gewalttäter

Nur ein sehr argloser Charakter mag an Zufall glauben statt an Schicksal, wenn sich gleich drei bedeutende Ereignisse in Raum und Zeit treffen. Auf ebendiese Weise verknotete sich am vergangenen Wochenende unser Universum in Berlin. Auf dem bedeutenden Großereignis SPD-Parteitag verkündete ein Kanzler einen Tritt in faule Hintern, um Deutschland aus der Krise zu bringen. Auf dem bedeutenden Großereignis Kirchentag verkündeten 200.000 Christen, ein Segen zu sein. Und in dem bedeutenden Großereignis Pokalfinale verkündete der FC Bayern München sich selbst. Mit 10 Prozent Gegenstimmen, eins zu drei und keiner Chance verloren auch diesmal jene, die in dieser Gesellschaft immer das Nachsehen haben: die Arbeitslosen, der 1. FC Kaiserslautern und der gesunde Menschenverstand.

Dies besprachen mein Freund Holger und ich am Fernseher bei Bier und bewusstseinserweiternder Lachslasagne. Und siehe, dieses eine Mal bemächtigte sich unser nicht wie sonst menschliche Verzweiflung, sondern göttlicher Zorn. Ja, der Heilige Geist selbst fuhr in uns. Und er war richtig sauer. Wir sollten Rache üben an jenen, die den HERRN und seine Werke so schamlos frevelten. Unsere Mission: den roten Heiden die Frohe Botschaft mit dem Nachdruck körperlicher Gewalt zu bringen. Den Markt der Möglichkeiten mit der Peitsche zu säubern wie Christus einst den Tempel von den Wechslern. Und die Knechte des FC Bayern nicht leben zu lassen. Wie einst Karl der Sachsenschlächter und Katharina von Medici wussten wir: Wer die Seele erreichen will, muss durchs Fleisch schneiden.

Dumm nur: Holger und ich sehen ziemlich harmlos aus. Gar nicht so wie der böse schwarze Jules Winnfield aus Pulp Fiction, der mit Bibelsprüchen und Revolvern Panik verbreitet. Wir sind weiß und schmal. Ich trage wenigstens noch Koteletten, aber Holger hat eine randlose Intellektuellenbrille. Doch das innere Feuer verändert auch das Äußere: Holger setzte die Brille ab, schaute flackernd aus den Augen, und nahm – ich lüge nicht – er nahm einen Schneidezahn aus dem Mund. Und legte ihn auf den Tisch. Ein Wunder? Nein, ein Provisorium, bis er das Geld für eine Brücke zusammengespart hat. Egal: Das war nicht mehr der harmlose Holger. Vor mir stand Lücke der Gewalttäter.

Meine Freundin war ganz entsetzt, als sie uns im Flur abfing.

– Was habt ihr denn vor?

– Wir suchen christliche Bayern-Fans, die SPD-Mitglied sind.

– A-ha.

– Wir wollen ihnen eine reinhauen.

– A-ha.

– Ihr Frevel lästert nämlich Gott.

– Und Holger macht auch mit?

– Das ist nicht mehr Holger, das ist jetzt Lücke der Gewalttäter.

An dieser Stelle zeigte sich, wie weise die katholische Kirche ist, Frauen seit Jahrhunderten grundsätzlich vom Priesteramt auszuschließen. Es stimmt: Eine Frau ist nicht das Gefäß, in das sich der Heilige Geist gerne ergießt. Da ist einfach zu viel praktischer Verstand im Weg.

– Sucht euch lieber erst mal einen einzelnen christlichen SPD-Bayernfan zum Verprügeln. Am besten einen kleinen.

Dies zu beherzigen fiele gar nicht so leicht. Denn Kirchentagsbesucher, Sozis und Bayernfans treten fast immer in Gruppen auf. An diesem Abend in Berlin waren sie leicht auseinander zu halten. Christen trugen ein Lächeln im Gesicht und eine gelbes Kirchentagstuch um den Hals, Bayernfans trugen ein feistes Grinsen im Gesicht und rote Schals um den Hals, Sozialdemokraten hatten nach dem Parteitag ein Gesicht, als wünschten sie sich einen Strick um den Hals. Ein bisschen konnten sie einem alle Leid tun. Die Kirchentagsbesucher, denen beim letzten Tee dieses Wochenendes langsam klar wurde, dass das Himmelreich nicht im Überbau liegt. Die Bayern-Fans, die beim letzten Weizenbier langsam merkten, dass, wer zu oft siegt, die Freude verlernt. Und die Sozialdemokraten, denen beim Pils wieder einmal langsam aufging, wem ihre Politik wirklich nutzt.

Wen da nicht das Mitleid packt, der ist kein Mensch – unser göttlicher Zorn war rasch verflogen. Meine Faust war längst nicht mehr geballt und Lücke der Gewalttäter kramte nach seinem Zahn. „Mein ist die Rache“, spricht der HERR. Er mag sich dafür jemand anderen suchen.

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