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Archiv-Artikel

revolution revisited: The Clash und „Sandinista!“ Der Sound der Multitude

Mit ihrem Patchwork-Prinzip haben The Clash viele „politische“ Bands beeinflusst. Deren Sympathien gelten heute aber eher den Zapatisten in Mexiko

Es gilt nicht als die gelungenste Platte der Band: das Triple-Album „Sandinista“, das 1980 erschien. Zwar beginnt es mit dem fabelhaften Disco-Track „Magnificent Seven“ und enthält einige Klassiker der Bandgeschichte. Doch statt das Genre-Crossing zwischen Punkrock, Rockabilly und Reggae zu neuen Höhepunkten zu treiben wie zuvor auf „London Calling“, verzettelten sich The Clash in zu vielen Stilen und Spielereien. Auf „Sandinista“ wollten sie offenbar alles ausprobieren, und zwar möglichst gleichzeitig: So gibt es einen Walzer zu hören („Rebel Waltz“) und ein A-capella-Stück, diverse Dub-Experimente und einen Gospel, und einmal ertönt sogar ein Kinderchor. Der Gesamteindruck ist von überbordender Konfusion, und das zweieinhalbstündige Album am Stück durchzuhören ist praktisch unmöglich.

Schieden sich damals schon die Geister, ob The Clash nun die einzig wirklich „relevante“ Band ihrer Zeit waren oder nur ein Haufen von Politposern, so standen ihre Alben damals doch im Plattenschrank jeder politisch bewegten WG wie der Nicaragua-Kaffee in der Küche. Auf dem Cover von „Sandinista“ posiert die Band in den Räumen einer mäßig beleuchteten Lagerhalle. Auf die Revolution in Mittelamerika nahmen die Songs allerdings nur wenig Bezug. Der Titel diente eher als Chiffre, als Bekenntnis zu irgendwie linken Grundüberzeugungen und der Sympathie für eine antiimperialistischen Befreiungsbewegung. Einzig auf dem Stück „Washington Bullets“ schlägt die Band den Bogen vom Putsch in Chile über die Schweinebucht-Invasion bis hin zur Revolution in Nicaragua: eine politische Geografie vulgärlinker Weltsicht im Punksong-Format.

The Clash mögen politische Hasardeure gewesen sein, deren militantes Auftreten sich mit musikalischer Abenteuerlust paarte. Doch auch ihr bewusster Rückgriff auf Reggae, Ur-Rock-’n’-Roll und afroamerikanische Traditionen stand im Dienst einer Botschaft: Die Universalität menschlicher Regungen angesichts der Lage in der Welt zu zeigen. Selbst das komplette Durcheinander ihres „Sandinista“-Albums könnte man daher wohlwollend als frühen Versuch abbuchen, so etwas wie den Sound der Multitude einzufangen.

Damit waren The Clash eine der prägendsten Bands ihrer Ära. Musikalisch, weil viele ihrer Songs bis heute zitiert werden: Erst jüngst hat sich die HipHop-Gruppe Cypress Hill bei einem Clash-Track bedient. Und konzeptionell, weil sie mit ihrer Ästhetik viele „politische“ Bands nach ihnen geprägt haben.

Mit ihrem Patchwork-Prinzip dienten sie als Vorbild für Bands wie Public Enemy, Rage against The Machine oder Asian Dub Foundation, die das Stilmittel der aggressiven Kakophonie samt gesampelter Polizeisirenen übernahmen. Allen voran aber für die französische Punkkapelle Mano Negra mit ihrem spanischen Sänger Manu Chao, die die Idee des „Global Chaos“ auf eine neue Ebene hoben. Auch sie warfen alles in einen Topf, darunter diverse spanische Folklorismen, und schmückten ihre Alben stets mit einem Roten Stern. Mit diesem „Mestizo“-Stil erspielten sie sich insbesondere in Spanien und Lateinamerika eine massive Gefolgschaft und bereiteten den Boden für eine ganze musikalische Bewegung (siehe neben stehenden Artikel).

Nicaragua mag als romantische Projektionsfläche inzwischen ausgedient haben, und auch Palästinensertücher sind zuletzt etwas aus der Mode geraten. Doch die sozialen Bewegungen von heute kennen neue Sehnsuchtsorte und Fluchtpunkte: Die mexikanische Enklave Chiapas etwa, Buenos Aires nach dem Börsencrash oder die multiethnischen Viertel der europäischen Großstädte. So wie The Clash einst die explosive Gemengelage von Brixton besangen, beziehen sich viele Mestizo-Bands auf die Migrantenviertel der spanischen Metropolen Barcelona. Und Manu Chao selbst hat sich durch seinen Auftritt bei den Demonstrationen zum G-7-Gipfel in Genua endgültig zum Bänkelsänger der No-Globo-Bewegung aufgeschwungen.

In seinem Dunstkreis bewegen sich ganze Legionen von Musikern: So wie die spanische Sängerin Amparo Sanchez, die sich nach einer Reise nach Chiapas mit ihrer Band Amparanoia ganz in den Dienst des Subcomandante Marcos stellte. Oder der baskische Dub-Aktivist Fermin Muguruza, dessen Konzerte im vergangenen Jahr in Spanien verboten wurden, weil er als Propagandist der ETA gilt. Auf seinen Alben hält er standhaft die internationale Solidarität hoch und verbindet die baskische Sache mit Grußadressen an Kurden und Palästinenser.

Auch der ehemalige Clash-Sänger Joe Strummer zeigte sich auf seine späten Tage globalisierungskritisch sensibilisiert. Auf seinen beiden Soloalben, die kurz vor seinem Tod 2002 erschienen, flirtete er mit weltmusikalischen Einflüssen und sang das Hohelied auf den indischen Imbiss um die Ecke: Es klang wie Radio Clash auf Weltempfang.

DANIEL BAX