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Archiv-Artikel

renée zucker in der taz vor 24 jahren über rosa von praunheims film „stadt der verlorenen seelen“

Die Zeiten, wo Hermaphroditen als göttlich galten, als Zauberer und Schamanen fungierten und vom Volk verehrt wurden, sind vorbei, obwohl Gustav René Hocke behauptet, die Hauptepochen europäischer Kunst seien diejenigen gewesen, in denen das Zweigeschlechtliche, Androgyne zu besonderer Entfaltung kam (Manierismus des 16. und 17. Jahrhunderts, Romantik, Decadence des Fin de Siècle). Ich kenne sie nur aus mehr oder weniger langweiligen Shows, als schillernde Beigabe mancher Parties, oder als Objekt meiner Neugier – wie es sein mag, Brust und Schwanz gleichzeitig an einer Person zu spüren, oder ob sie eine Erektion beim Vögeln haben. Rosa von Praunheim beantwortet diese Fragen in seinem Film „Stadt der verlorenen Seelen“ nicht.

Ungewöhnlich dezent und liebevoll blendet die Kamera ab, wenn Tara O’Hara einem frisch aufgerissenen one night lover erklärt, daß sie keine „normale Frau“ ist, und der sich erst nach langem entrüsteten und erschrockenen Zieren doch von ihr verführen läßt. Liebevoll geht der Film mit all seinen Darstellern um. Praunheim probiert keine aufklärende, anklagende Studie über Transsexuelle in unserer Gesellschaft. Sein Film ist komisch, ohne zu denunzieren. Wer lacht, lacht mit und nicht über die Protagonisten (Witz und Ironie sind ihre stärksten Überlebenschancen in demütigenden und bösartigen Begegnungen mit dem Normalen), und selbst Helga Götze, als running gag („erst wenn die Ökologen richtig ficken, kann das Leben wirklich glücken“) kommt gut.

Wer will, kann sich amüsieren, und wie weit man das Gespräch zwischen Angie und Tara in Gedanken fortsetzt, wenn Angie davon spricht, sich den Schwanz wegoperieren zu lassen, weil sie sich noch nicht ganz“ fühlt, Tara aber stolz sich selbst als drittes Geschlecht preist, ist jedem Zuschauer selbst überlassen. Genauso wie das Sehen der Trauer und Verzweiflung dieser nicht mehr geachteten Götter.

Renée Zucker, 1. 8. 1983